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In Frankfurt müsste man sein

Da schwätzt doch glatt während einer Theatervorstellung ein - sagen wir einmal vorsichtig - nicht ganz uneitler Theaterkritiker mit seinem Sitznachbarn. Ein wahrscheinlich sich gestört fühlender Schauspieler rastet ein bissl aus - und schon ist der berühmte Kritiker mit einem "hau ab du Arsch" konfrontiert. Der Kritiker - ob seiner eingeschränkten Pressefreiheit - ist natürlich empört, der Theaterdirektor ist zerknirscht, die Frau Oberbürgermeister von Frankfurt ist empört, beide entschuldigen sich beim Kritiker und der Schauspieler wird gefeuert. Ich meine, die Verbeugung vor Geßlers Hut im Wilhelm Tell ist im Vergleich zum Frankfurter Kritiker praktisch ein nebensächliches Lercherl. Das muss man sich einmal vorstellen - eine Vernissage in Wien. All das Bussi Bussi und übers gestrige Abendessen plaudern und was am letzten Sonntag so los war. Und eine Künstlerin, die verzweifelt aber vergeblich versucht irgend einen anonymen Vernissagebesucher bei der Betrachtung ihrer Bilder zu erwischen. Und dann plötzlich - einer der seltensten Augenblicke ihres bisherigen Künstlerdaseins - tritt tatsächlich ein Kunstkritiker durch die Tür, sieht, bevor er überhaupt noch ein Bild erblickt, eine Bekannte und fängt mit ihr glatt zu schwätzen an!?!? Und jetzt muss man sich die unglaubliche Selbstbeherrschung der Wiener Künstlerin vorstellen, wie sie schweigt - sich nur kränkt und schweigt. Weil sie einfach verhindern will, dass Tags darauf unser Bürgermeister Häupl sofort ein empörtes Berufsverbot über sie verhängt. Und alle Zeitungen darüber schreiben, dass eine Künstlerin es tatsächlich gewagt hatte, die Betrachtung der Bilder während ihrer Vernissage einzufordern und nicht wollte, dass der so sehr herbei gewünschte und tatsächlich erschienene Kritiker nur wild in der Gegend herum schwätzte. Naja in Frankfurt ist eben alles anders. Das muss man sich einmal vorstellen. Dort reagiert die Frau Oberbürgermeister schon auf das für Wiener Verhältnisse heftigste, nur weil ein Gekränkter einen Kränkenden als Arsch beschimpfte.
Mehr Texte von Manfred M. Lang

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