Iris Meder †,
Alles, oder auch nicht
1964: solide Spätmoderne. Roland Rainers Kirche in Wien-Simmering ziert den Umschlag der Zeitschrift "Der Bau". In karg-schönem Schwarzweiß, Architektur gewordene "gute Form". Kaum ein Jahr später ist nicht nur der Artikel aus dem Titel verschwunden, sondern auch, so scheint es, jeglicher Respekt vor den Grundfesten der Moderne aus der von Hans Hollein geleiteten neuen Redaktion. "Funktion - Provokation" verspricht das Cover, aus einem Bild von Roy Lichtenstein wird eine Pistole direkt auf den Betrachter abgefeuert. Nichts ist mehr sicher, und schon gar nicht die Katechismen der Architektur.
Man sollte beim Besuch der AZW-Ausstellung die Gegenwart zunächst einmal draußen lassen. Versuchen zu vergessen, was man weiß vom heutigen Schaffen der einstigen Avantgarde. Auf dicht beklebten Wänden und in Vitrinen mit Originalen tut sich ein gigantisches Feuerwerk an Esprit, Ironie und überbordender Lust an der Respektlosigkeit des Pop-Zeitalters auf. ALLES war Architektur, auch das Glück aus der Spraydose und die aufblasbare Liebeszelle.
Man befand sich auf Weltniveau und nützte und förderte die Kontakte zu Fachwelt und Medien im In- und Ausland. Auch Kritisches ist jedoch nicht ausgespart: Otto Mauers Entgegnung auf Holleins Manifeste, Hermann Czechs entschiedenes Statement "Architektur ist nicht das Leben. Architektur ist HINTERGRUND. Alles andere ist NICHT Architektur." Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass der Katalog zur Ausstellung ausgerechnet in der AZW-Reihe "Hintergrund" erscheint.
Irgendwann bleibt es einem dennoch nicht erspart, das Gesehene mit der Gegenwart zu vergleichen. Das Popstardom der Sixties führte nicht selten direkt in die Postmoderne und für einige weiter in ein "Stararchitekten"-Dasein, dem von der einstigen Subversion nichts mehr geblieben ist. Ist zu viel jugendlicher Aufbruch langfristig doch ein Ballon, dem bald die Luft ausgeht? Wie folgerichtig waren doch Klassiker wie Otto Wagner: ausgehend von der Tradition, endend in der Zukunft.
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