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Songs for the Changing Seasons: Haters gonna hate

Noch sind die Büsche und Sträucher, die jungen Bäume und Gräser hier am Festivalareal Nordwestbahnhof der Klima Biennale etwas karg. Das wird sich im Verlauf der hundert Tage, die das Festival währen wird, ändern, und am Ende des Sommers wird das ehemals durchversiegelte Gelände der ÖBB in grüner Pracht stehen, Kinder werden spielend umherlaufen, es wird Musik geben und Workshops, es wird wunderbar!

Pessimismus ist es nicht, wovon die Gestalter*innen hinter der Klima Biennale, die heuer zum ersten Mal stattfindet, angetrieben werden. Vielmehr ist es die Zeit, anzupacken, sich unterzuhaken, Lösungen zu finden. Was es dazu braucht: Wissen, Gemeinschaftlichkeit, Bewusstsein. Die Schaffung eines grundsätzlich konsumfreien Raumes, in dem Möglichkeiten zum Zusammentreffen, Lernen, und Erfahren gegeben sind, wie hier am Nordwestbahnhof, ist deshalb zentraler Teil des Konzepts und zeigt sich von diesen Leitlinien durchdrungen. Wie immer kann man die Maßnahmen, die gesetzt wurden, um den ehemaligen Betriebsparkplatz in einen klimabiennale-fitten Raum zu verwandeln, belächeln. Die Schuttinseln, aus denen dürre Äste wachsen, die Öklos und Erlebnisstationen - alles Peanuts, Symbolpolitik!... und überhaupt, was kann die Kunst schon gegen den Klimawandel, gegen die Großindustrie und Autokraten machen?

Hier sind Leute, die blasen Seifenblasen und bewegen sich komisch zu Sirenengesängen, die bauen Sandkisten zusammen, und im Hintergrund werden Großbauten hochgezogen. Lassen sich die positiven Auswirkungen des Festivals, die Wissensvermittlung, die Prägung von Erinnerungen, die kleinen oder größeren Verschiebungen im Bewusstsein, lassen sich die gegenrechnen gegen die Katastrophen, die gleichzeitig passieren, oder allein gegen die Festivaleigene CO2-Bilanz, oder gegen alternative Einsätze der Mittel, die hier verbraucht worden sind? Wahrscheinlich nur - (nur) - wenn man die Sache nicht von Seiten einer kalten Rationalität her sieht, sondern von den Menschen ausgeht, die durch ihr Tun hier ein Stück weit ihrer eigenen Utopie verwirklichen.

Während Letzteres einen wichtigen Teil dessen ausmacht, was die Klimabiennale ist, beschränkt sie sich doch nicht allein auf eine Kleinvieh-macht-auch-Mist-Mentalität und die Hoffnung, durch Wissensproduktion, ein bisschen Aktivierung unterdrückter Sinnlichkeit, und die Erinnerung an unser aller gegenseitiger Abhängigkeit den großen Umbruch zu bewirken. So ist zum Beispiel mit der Biofabrique Vienna und der angehängten Ausstellung "Design with a Purpose" (kuratiert von Gabriel Roland) die Ingenieurskunst unter dem Deckmantel des Designs Teil des Displays. Was man so alles machen kann, aus Abfällen, oder unter Verwendung von Pilzen...Ja, die Lösungen sind alle da.

Und dann gibt es da noch die echte Kunst, also alles, was nicht angefasst werden darf, wo noch die Trennung zwischen mir und einem Gegenüber (Objekt) aufrechterhalten ist. Wobei die Ausstellungsarchitektur die offenen Räumlichkeiten der Werkhalle nutzt und auch nach außen hin öffnet, zumindest so also das Verbindende dem Trennenden vorzieht. Die frei fließende Luft wird so zum Material einer Ausstellung, in der trotz Berührungsverbot die Kuratorinnen Lucia Pietroiusti und Filipa Ramos nicht wenige Arbeiten ausgewählt haben, die auf den Körper der Besuchenden wirken. Da sind die zwei Soundinstallationen hervorzuheben, die, das liegt in der Natur der Sache, im eigenen Körper resonieren. Es nimmt mitunter unheimliche Dimensionen an, von den wandernden (mehr-als-)menschlichen Stimmen verfolgt und übersprungen zu werden (Sofia Jernberg, "Songs for the Changing Seasons", 2024), oder sich in den Kreis des unheilvoll kreisenden Lautsprechers zu begeben, der den Raum nachzeichnet, den so ein Lachs auf einer Fischfarm in Schottland zum leben hat (Cooking Sections, "Salmon: Feed Chains", 2022).

Überhaupt ist das Tierische ein häufiges Motiv in "Songs for the Changing Seasons". Sei es als Staunen über die Vielfalt und Individualität, aus der ein Bewusstsein für den Wert tierisches Leben gezogen werden kann (Joan Jonas, "they come to us without a word II", 2013-23), sei es als Gefühl der Verbundenheit mit den in Zoos gefangenen und sprachlosen - oder: bevormundeten - Tieren, eine Arbeit aus der Pandemiezeit (Adrián Villar Rojas, "The End of Imagination", 2021). Eine andere Arbeit setzt sich mit der Stellung von Vögeln im menschlichen Kosmos und ihrer Rolle zwischen Nutztier, metaphysischem Symbol, Begleiter und und und auseinander - und den Architekturen, die diese Vielfalt und Widersprüchlichkeit ausdrücken, von kleinen Käfigen bis monumentalen Vogeltürmen (Studio Ossidiana, "The City of Birds", 2020-21).

Zurück zum großen Ganzen. Die Hauptstrategie, die den Werken zugrunde liegt, ist vor allem die des Mitfühlens, was durch naturwissenschaftliche und journalistische Forschung genauso wie durch Berücksichtigung von Mythen oder somatische Erkundung erreicht werden soll. Wie es Klimakunst an sich hat, ist der Charakter teils didaktisch, teils spirituell angehaucht. Schambehaftet zeigt sich Songs for a Changing Seasons ob einer Frage nach der Sinnhaftigkeit von Kunst nicht - vielmehr wird die Haltung behauptet: die Krise der Körper wird nicht zuletzt im Kopf entschieden - und da kann die Kunst Einfluss nehmen. Als logistisches Unternehmen hat sich die Klima Biennale alle Mühe gegeben, nachhaltig zu arbeiten, Müll zu vermeiden, wieder- und aufzuwerten. Als politisches Unterfangen schafft sie durch die Bereitstellung offener Räume (es gilt das Pay-as-you-want-Prinzip an der Kassa) Tatsachen. Was davon übrig bleibt, wird sich zeigen.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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Songs for the Changing Seasons
05.04 - 14.07.2024

Festivalareal Nordwestbahnhof
1020 Wien, Nordwestbahnhof Nordwestbahnstraße 16
https://www.biennale.wien
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-20, Sa, So 10-18 h


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