Werbung
,

Bliss, bliss, bliss: Völlig losgelöst

In "Behind the Looking Glass" lässt Lewis Carroll seine Alice in die Welt hinter der Spiegelfläche treten. Dort wird einiges sehr wörtlich genommen, und vieles verdreht. Die Spielregeln sind hier andere als in der diesseitigen Welt. Beim Schreiben soll Opium im Spiel gewesen sein, aber das kann als bloße Brennhilfe betrachtet werden. Der zündende Funke ist bereits in der Freiheit des denkenden Dichters angelegt. So wie Alice nicht an die Unüberwindbarkeit des eigenen Spiegelbilds gebunden ist, ist seine Sprache frei von den Prinzipien der Physik und einigen menschengemachten Verhaltensregeln. Alice geht vor, und über die Literatur können wir folgen.

Eine:r der:die die Grenzen des Spiegels ähnlich herausfordert, ist eine Figur von James Bantone in Neoprenanzug und Narrenstiefeln ("Terminal Irony", 2021). Sie ringt mit dem Spiegel, und dem eigenen Spiegelbild, diesem verdammten Identitätsmarker. Bezeichnenderweise ist der Kopf, wo das Denken stattfindet, hinter den Spiegel gerutscht. Der Rest des Körpers bleibt diesseits gefangen. Vielleicht liegt ja ein Witz darin, dass der Körper, der eine:n gefangen hält, selbst gefangen wird... Aber das ist kein Zustand, indem es sich aushalten lässt, diese Zerrissenheit von Körper und Kopf.

Die konkreten Auslöser des Dauerkrisenzustands werden manchmal gestreift (Krise der Demokratie, Krise der Repräsentation, Klimakrise) aber bleiben meistens abstrakt. Es geht ohnehin mehr um Formen des Ausbruchs aus diesen. Bei Tiona Nekkia McClodden sind es paradoxerweise gerade geknotete Schnüre mit Verweis auf Bondage, die Selbstbestimmung und eine gewisse Freiheit bedeuten. Hierin zeigt sich auch der ambivalente Zugang zur Frage nach dem (idealen) Verhältnis zum Körper: als Leitwort wandert "Dissoziation" durch die Ausstellung, doch zeigt sich nicht nur bei McClodden, sondern auch in Laura Gozlans Film "Foulplay" ein Ansatz, der auf die Rückeroberung von Körperlichkeit abzielt (und mittels "sex magik" [sic]: Onanie und Drogenkonsum, Wahlen drehen kann).

Wörtlich genommen ist "Dissoziation" im Film "Hevn" von P. Staff. Unmöglich, sich in der Flut an Bildern, Zeichen und Tönen zu orientieren. Es ist alles nur in Fetzen vorhanden, ohne Hierarchie über- und nebeneinandergelegt. Wo Eindrücke sich nicht zu Erkenntnissen verbinden, wird alles bedeutungslos. Auch hier eine kleine Ironie: es wird einem ganz schwindelig.

Die Sprache zeigt sich in diesen Arbeiten als unzureichend zur Artikulation wie auch zur Überwindung der apokalyptischen (inneren wie äußeren) Zustände. Zum Glück gibt es die Leseecke, in dem der theoretische Hintergrund ausgebreitet wird. Bis zum Ende der Ausstellung Anfang Mai lässt sich das ein oder andere Buch davon durchlesen, und dann wiederkommen. Alternativ einfach raven gehen und Keta ziehen.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Bliss, bliss, bliss
15.03 - 04.05.2024

Kunstraum Niederoesterreich
1010 Wien, Herrengasse 13
Tel: +43 1 90 42 111, Fax: +43 1 90 42 112
Email: office@kunstraum.net
http://www.kunstraum.net/de
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-19, Sa 11-15 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: