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„Ich will nur noch Positives absondern“ ( J. Meese)

„...das ist eine eigene Kunstform“, behauptet am Ende des Stücks jemand, der sicher kein ausgesprochener Meese-Fan ist, wohl aber mit Zardoz sozialisiert wurde.

Es lohnt sich darüber nachzudenken:
Jonathan Meese und Alexander Kluge treffen sich im Volkstheater, der Eine live auf der Bühne mit Affenmaske – als Anspielung auf Stanley Kubriks Odyssee 2001– Knochen in der Hand jonglierend, Kluge als Bildschirm-Projektion in seinem Münchener Arbeitszimmer. Meese und der Dramaturg Henning Nass sitzen wie zur Unterredung im Lehnstuhl am Kamin beim jährlichen Treffen von Kluge und Meese im Waldhaus in Sils Maria, Nietzsches Lieblingsort. 

Beide beschwören Schlingensief.

So gesehen ist der buchstäbliche Unterhaltungsabend eine Nachstellung von Gesprächen, die so ähnlich immer wieder stattgefunden haben und stattfinden, diesmal eben auf der Bühne des Volkstheaters mit Film- und Bild-Einspielungen von Werken der beiden zur Untermalung der Konversation.

Geboten wurde eine die Gehinzellen befeuernde tour de force durch das Universum und die Welt- und Operngeschichte, – vom Trojanischen Krieg über die römischen Cäsaren mit besonderer Erwähnung von Caligula und Agrippina, Tochter des Germanicus die ihren Sohn Nero zum Kaiser machte, bis zum 2. Weltkrieg und zu den Silicon Valley Cäsaren der Gegenwart; nebenbei immer wieder Gedanken zu Wagner, Nietzsche, Kant u.v.a.
Wer spricht sonst heute noch von der völlig unnötigen grausamen Ermordung Cäsarions –ausser mir, wenn ich gerade am Roten Meer auf der Suche nach dem Hafen bin, von wo aus er nach Indien geflohen ist – durch Augustus, an den wir auch die Namensgebung des Monats August erinnert werden?

Kluge zitiert Euripides, „Sterne sind ein Stück der Zeit.“
Ist das nicht Bildungstheater schlechthin?

Im Laufe der Konversation zieht sich Messe die verschiedenen Kostüme der zur Sprache kommenden Figuren aus der Geschichte übereinander an:
Nach der Affenmaske und dem Römer-Helm schlüpft er in den Mantel seiner Lieblingsfigur Saint-Just und setzt sich nacheinander verschiedene Hüte auf, vom Napoleon-Hut zum Damen-Biedermeierhut. Eine Hundemaske kommt bei Einspielungen von Laika, dem 1. Hund im Weltraum und zum Hundsstern, in Referenz zum ägyptischen Gott der Totenriten, Anubis dem Göttlichen Führer, zum Einsatz.

Zum langen weissen Uniform-Mantel mit Hakenkreuzbinde am Ärmel trägt er eine Osiris-grüne Fantômas- Gesichtsmaske und dazu eine hohe Schirmkappe, die ihn wie Mussolini erscheinen lässt und Assoziationen zum Totengott ebenso wie zum umgehenden Gespenst des Faschismus weckt: „Wer Freiheit nicht aushalten kann, kann sich den Planeten der Unfreiheit bauen... und mich in Ruh lassen.“

„Der Krieg ist eine Obszönität.“ spricht Meese dem friedliebenden Teil des Publikums aus der Seele. Der 2. WK sei noch vorstellbar, aber Krieg sollte gar nicht mehr vorkommen; Kriege sollen nur mehr im Theater und im Film, wo niemand umkommt, inszeniert werden – dafür plädierte Meese schon vor einigen Jahren im Burgtheater auf der Stiege beim Seiteneingang. So gesehen kann man Meese zum Aufstieg vom Hintertreppen-Performer auf die Bühne des Volkstheaters ins reguläre Spielprogramm gratulieren.

Kluge spielt seinen Film über die zerbombte Wiener Staatsoper von 1945, der unwillkürlich daran erinnert, dass Kriege nicht immer nur weit weg stattgefunden haben.

Der andere Wien-Bezug ist Peter Weibel. Kluge wählte, wohl zum Andenken an seinen vor knapp einem Jahr verstorbenen Freund, ein Austro-Pop Musikvideo aus jungen Jahren, „...bald wird es schneien...“ in dem ein Nietzsche-Porträt mit Lebensdaten (vgl. „We are data“) vorkommt. Kluge setzt an, etwas über PW (wie er von seinen Kolleg:innen genannt wurde) zu sagen, worauf Meese mit einer Triade gegen die „Weltuntergangsprophetiker“ beginnt:

„Er hat die Natur erkannt, als unabhängige Kraft, die uns gar nicht braucht...“
Meese bringt mit seiner allseits bekannten Intensität seine Thesen zu Herrschaft der KUNST vor: „Politik und Religion haben sich überholt.“ Das Zeitalter der Kunst solle anbrechen.

„Nieder mit den Landesgrenzen“ forderte Kluge.

Was mehr soll Theater bieten als Bilder, Kostüme, Lebensgeschichten, Stoff zum Mitleiden und Nachdenken und womöglich am Ende eine Katharsis oder eine Diskokugel-Beleuchtung mit Donauwalzer?

Kluge stellt einen Vergleich zwischen dem Flugzeugabsturz des russischen Heerführers Prigoschin und Waldsteins Ermordung durch den Kaiser an. Das Geschehen sei Schiller noch 3 Akte wert gewesen. „Heute setzt sich niemand mehr hin und schreibt ein Stück darüber.“ Naja, Jelinek vielleicht.

Dass Goethe und Schiller auf der Bühne in Weimar oder Jena ein Stück performen war vor 200 Jahren undenkbar. Meese und Kluge gelingt es mit wenigen Versatzstücken ihren Gedankenkosmos auf die Bühne zu bringen und Gefühle zu vermitteln. Das ist Brecht‘sches Theater einen Schritt weiter geführt. Es gibt nicht nur keine Dekoration, sondern auch kein Theaterstück mehr.

So gesehen sind Meese und Kluge tatsächlich dabei, eine neue Form des Theaters zu schaffen. Idolatrie statt Ideologie auf der Bühne.

Fortsetzung folgt. ⤇ www.volkstheater.at/

Mehr Texte von Renate Quehenberger

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