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You're you, bro

Angenehm übersichtlich zeigt sich die Ausstellung der diesjährigen Diplomarbeiten an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Es gab fast keine Diplome aus der Malereiklasse, nur wenige aus der Skulpturklasse, ein paar aus der Fotoklasse und einige von der Transmedialen Kunst. Viele Werke gaben sich in ihrem Ansatz recht wissenschaftlich, in ihrem Anspruch moralisch, nüchtern im Stil. Sie schienen eine Wiederholung kanonischen Denkens und Vokabulars vorzumachen, kamen aber bestenfalls informativ, gut ausgeführt, manchmal inspirierend, vielleicht lustig, aber letztendlich ein bisschen langweilig daher. Nur eine Arbeit stach durch ihre Kühnheit hervor.

Eine ihrer Errungenschaften war zum Beispiel, dass es ihr gelang, den Satz "listen to your heart" echt klingen zu lassen. Nach dem größten Teil eines vierundvierzigminütigen Film-cum-Musikvideo-cum-Gedichts von Daniel Stolzlederer, einem Bekenntnis, das Leute Weinen und laut Lachen machte, erschien er als flackernde Zeilen an der Wand, buchstäblich in neuem Licht. Der Einschlag des Films war umso bemerkenswerter, als es sich bei denjenigen, die solch intensive Reaktionen zeigten, um eine Generation handelte, von der nicht zwingend zu erwarten war, dass sie sich auf diese ultra-zeitgenössische Bildsprache voller Selfie-Cam-Einstellungen und Bildfilter einlassen würde, eine überbordende Collage von Bild-, Schrift- und Tonfetzen, die die Linearität des Sehens, Hörens, Denkens genauso herausforderte wie abbildete. Die Pausen, die der Rhythmus setzte, waren lebensnotwendig, aber in Erwartung der folgenden Flut. 

"The Big Joke" ist ein ekstatischer Durchlauf durch die Zeit, die der Künstler brauchte, um sein Studium abzuschließen - um zertifizierter Künstler zu werden, könnte man sagen. Die Aneinanderreihung von tausenden Fragmenten aus dem persönlichen Archiv selbstgedrehter Videos, Songs und Bildschirmaufnahmen, die in den letzten - prägenden - Jahren gesammelt wurden, wird zu einer Art Offenbarung des Kampfs um die Formung und Umformung von Moral, Glauben und Vokabular des Künstlers. Trotz, oder gerade ob der zwanghaften Vermeidung eindeutiger Aussagen, dem Rückgriff auf Ironie und Provokationen von dubioser Derbheit, zeigt der Film eine brutale Offenheit und fühlt sich, mit einem Wort, ehrlich an.

Das Protokoll einer quijotesken Suche nach Gewissheit und Wahrhaftigkeit, Zärtlichkeit, klammert Zweifel, Gewalt und Rückschläge nicht aus. Im Gegenteil, die Reibung an Extremen scheint konstitutiv. Viel in dem Film ist selbstgedreht, selbstgesungen, selbst ausprobiert, ein großer Teil aber ist found footage aus TV und Internet. Die zitierten Schnipsel fangen die Menschen als endlos getrieben von der Notwendigkeit sich ihrer selbst immer wieder zu vergewissern ein. Vom Mainstream bis zu den Rändern der Gesellschaft zeigt sich die Abhängigkeit von strukturierenden Leitfiguren, die das Gute vom Schlechten trennen. Was sonst ist die Besessenheit von Ruhm, von Religion, Verschwörungstheorien, Sex, Geld und Intellekt?

So spiegelt die Erforschung des inneren Selbst auch das Kollektiv wider. Hinter dem Bild Narziss' zeigen sich die Fische unter der Wasserlinie. Die Antworten, die auf die Frage nach dem Ich im Verlauf von "The Big Joke" ausprobiert werden sind zahlreich, keine davon endgültig; aber am Nächsten kam dem ein ernstzunehmendes "You're you, bro".

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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