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Carola Dertnig - Dancing Through Life: Showtime mit rotem Faden

Carola Dernig bespielt das OK-Linz mit ihrer bisher größten Ausstellung Dancing Through Life und überrascht mit raumgreifenden und spektakulären Installationen. Sie ist keine kontroverse Ausnahmekünstlerin wie Elke Krystufek in den 90er Jahren, die die radikale Befragung ihres Körpers (z.B. in der Masturbationsperformance) und ihrer Psyche als Gesamtkunstwerk hemmungslos der Gesellschaft vorführte. Sie ist auch nicht so unangepasst und provokativ wie die Ikone der österreichischen feministischen Avantgarde Valie Export in den 60er Jahren, und zuletzt ist sie auch nicht so exzessiv wie die trotzige Malerin Maria Lassnig in den 80er Jahren und seit jeher.

Auch wenn sie mit den genannten Künstlerinnen einiges verbindet – unter anderem das gemeinsame Interesse an der Stellung der Frau in Kunst und Gesellschaft –, so scheint die heute 60-jährige Carola Dertnig doch einen anderen Typus von Künstlerpersönlichkeit zu repräsentieren. Sie arbeitet kontinuierlich und beharrlich und verdankt ihren Erfolg, ohne ihn skandalisierend heraufzubeschwören, letztlich ihrer überlegenen künstlerischen Haltung zu einer bestimmten Zeit (und) an einem bestimmten Ort. Ihr Hauptinteresse gilt dem Tanz und der Choreografie: in ihren unterschiedlichen Arbeiten, sei es in ihrem Spezialgebiet Performance, das sie seit 2006 auch als erste Professorin an der Akademie der bildenden Künste in Wien unterrichtet, sei es in Collagen, Slapstick-Videos, choreografischer Malerei, Fotografie oder Arbeiten auf Papier. Sie alle haben nichts Skandalöses an sich, sind weder plakativ noch dekadent. Ganz ohne Selbstdarstellung geht es natürlich auch bei ihr nicht. Doch selbst wenn die Künstlerin ihren Körper, meist den Tanz, in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Praxis stellt, präsentiert sie sich als Denkkünstlerin, und nicht als Körperkünstlerin. So zum Beispiel in ihrem frühen, noch in New York entstandenen Film Dancing with Remotes (1998), in dem sie zu den damals üblichen Klängen von Technomusik tanzt und dabei mit Hilfe der Fernsteuerung den Schnitt ihrer Videokamera bestimmt. So zeigt sich die neue Generation von Künstlerinnen bei der Arbeit. Intim und intersubjektiv.

Weiter liegt Dertnigs Stärke in ihrem sensiblen Humor und einer unsentimentalen gedanklichen Konsequenz, die aus der Synthese ihres künstlerisch-performativen Ansatzes und der Vertiefung in die wissenschaftliche Forschung resultiert. Diese Elemente sind ihrer Kunst wie ein Algorithmus immanent. Häufig steht die Geschichte der Moderne und vergessene weibliche Subjekte im Fokus ihrer multimedialen Arbeiten. Diese und andere Arbeiten sowie Archive (u.a. auch das ihrer Mutter) sind in ihrer aktuellen Ausstellung in performativen Settings und Bühnensituationen zu sehen, gestalterisch präzise durchdacht. Dazu gehört auch ihre bekannte Auseinandersetzung mit dem Wiener Aktionismus aus feministischer und queerer Perspektive. Basierend auf zahlreichen Gesprächen mit damaligen Aktionistinnen wie Hanel Koeck und Anni Brus entwickelte Dertnig die fiktive Aktionistin „Lora Sana, 62“, die das Ausblenden und Vernachlässigen in der Geschichtsschreibung dieses klassischen österreichischen Kunstkanons zum reizvollen Thema macht.

Ganz neu sind im OK-Linz die beiden übergroßen Rauminstallationen von Dertnig, die vor ihrer künstlerischen Laufbahn ein Tanz- und Gymnastikstudium am ehemaligen Bruckner Konservatorium in Linz absolvierte. Sie widmen sich weiterhin ihrem Hauptthema, den Bewegungsabläufen und deren künstlerischer Aufzeichnung. Sie bilden ebenfalls den Rahmen und überraschende visuelle Effekte für die gesamte Ausstellung und spielen vordergründig mit dem Prinzip der Skalierung der einzelnen Bestandteile und wohl auch unseres Universums. Ob die Besucher*innen die Werke von oben oder von unten betrachten, ist dabei auch entscheidend. Die erste der eindrucksvollen Rauminstallationen, all in all-lifelong red tights, zu Beginn der Ausstellung, soll vor allem der ausgewogenen Entspannung dienen, wie die Künstlerin versichert. Bei dieser Arbeit richtet sich alle Aufmerksamkeit auf überlange Strumpfhosen (ca.10 m) in erotischem Blutrot und knalligem Pink, die kraftvoll zwischen Decke und Boden gespannt sind. Ob damit die stark kulturell geprägte Fixierung des (männlichen) Blicks auf Frauenbeine (im Westen) gemeint ist, bleibt offen, auch wenn ein dahinter liegendes Video ebenfalls ein überlanges Bein fokussiert. Etwas versteckt in der Mitte hängt noch eine Schaukel, auf der man hin- und herschaukeln darf. Aber diese Bewegungen bleiben ziemlich gleich. Ganz anders die nicht minder imposante Abschlussarbeit mit dem Titel Trois amies, die im Turnsaal der ehemaligen Mädchenschule auf einem überdimensionalen runden Podest in Szene gesetzt wird. Die Umsetzung der Bewegungsmuster in performative Skulpturen aus gebogenen Stahlrohren erscheint hier schwungvoll und scheinbar grenzenlos, verstärkt in ihrer Utopie durch die sich fortsetzenden, gezeichneten Kreisformen auf der dahinter hängenden Großleinwand „Sunny Life Song“. Die Kreisbewegungen in beiden Werken sind nach der Feldenkrais-Methode gestaltet und nach Performances mit jungen Frauen entstanden. „Feldenkrais geht davon aus - heißt es im Presseheft - dass gewisse Dinge, die im Körper nicht stimmig sind, durch gezielte Bewegungen verbessert werden können“. Zur mehrschichtigen Rauminstallation gehört auch eine rote Steinskulptur - eine Art Requisit, oder symbolischer „Stein“, den die drei Frauen (darunter die Tochter der Künstlerin) im begleitenden Video spielerisch durch den Raum rollen. Blinking Forward erzählt von einer Fantasy-Zukunft und der rote Faden ist auch wieder da.

Was Carola Dertnig bei allem optimistischen Zukunftsglauben besonders auszeichnet, ist ihre kritisch-skeptische Haltung gegenüber einer neoliberalen Ordnung, die uns zur Eigenverantwortung und maximaler Selbstoptimierung zwingt, um als Künstlerin erfolgreich zu sein.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Carola Dertnig - Dancing Through Life
02.02 - 26.05.2024

OK Linz
4020 Linz, OK Platz 1
Tel: + 43 732 7720-, 52502
Email: info@ooelkg.at
http://www.ooekultur.at
Öffnungszeiten: Di, So, Fei 10-18 h


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