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Sol LeWitt's Wall. Performed: Reaktivierung, keine Reprise

Folgt man dem Gedankenstrang der Konzeptkunst, so ist die Idee der eigentliche Generator, der das Werk erst zu einem solchen macht und damit selbst ganz Werk wird. Da das Kunstwerk sich nun also nicht mehr zwingend durch seine materielle Erscheinung und Beschaffenheit definiert, sondern auch Anweisung, Skizze, Schriftstück oder bloßer Gedanke sein kann, ist es mit der Autorität des Künstlers weit hergeholt. Das reicht dann soweit, dass der US-Amerikanische Konzeptkunst-Großvater Solomon „Sol“ LeWitt sich dachte, das Konzept seiner monumentalen Wall nach Premiere im damals neu eröffnetem Kunsthaus Graz gleich der Institution selbst für eine Wiederaufführung zu vermachen, damit es ohne sein Zutun, aber nach konkretem Vorbild, wiederaufleben kann. Beim Erhalt eines solchen Erbes ist es wohl nur eine Frage der Zeit, zu welchem Anlass die Re-Inszenierung dann passiert. LeWitts Tod 2007 wäre ein Anlass, aber zeitlich wohl zu nah am Ursprungskontext dran, um der Wall eine Wendung zu geben. Man entschied sich für das 20 Jahr-Jubiläum des Kunsthauses als Ausgangspunkt. Covid-Pandemie, Kriegsrealität, Migrationsthematik, Flüchtlingskrise, der Aufstieg des Populismus und der Klimawandel sollen die Installation in einen neuen Kontext verfrachten.

Die Wall wurde nun akribisch nach LeWitts Vorgaben wiedererrichtet. Sie folgt also auf rein formaler, materieller Ebene dem gleichen Prinzip: Was sich nicht verändert haben mag, ist, dass sich einst wie jetzt eine 70m lange aus grauen Ytong-Blöcken bestehende Mauer nach grafischem Muster in die Kuppelarchitektur des Space01 eingenistet hat. Einer Raumzeichnung gleich zieht sich die Mauer organisch durch die weitgezogene Räumlichkeit hindurch, als ob sie mit ihr verwachsen wäre. Sie wirkt in ihrem sich schlängelnden Zick-Zack Kurs wie einbetoniert in den sie umgebenden, ummantelnden Raum. Die Wall – das ist von LeWitt intendiert – löst sich geradezu in der Architektur der Kuppelsituation auf, wird Teil der Architektur, ja letztendendes zur Architektur selbst. Sie geht mit der Umgebung einher, doch stielt sie dieser nicht die Show, obgleich sie unübersehbar als räumliche Konstante wahrnehmbar ist. Durch die schleifenartige Form erhält das Kunstwerk dann das Maximum an Beweglichkeit in der vorgefundenen Raumstruktur. Gewissermaßen mutet es so an, als gehöre sie selbstverständlich zum Inventar des Space01 wie die spiralförmigen, nach innen wachsenden Lichteinlassrüssel, die sogenannten nozzles, am Plafond oder das in schwarz getünchte Kuppelgewölbe. Als wäre die Mauer immer da gewesen und nirgends anders.

Nun liegt es aber in der Natur der Sache, dass die Installation zwei Jahrzehnte später nicht mehr dasselbe meinen und suggerieren kann wie in ihrem ursprünglichen Kontext. Auch wenn die Wall den Anweisungen LeWitts 1:1 folgt, weitestgehend dieselben Baumaterialien aus Leichtbeton verwendet und von den ursprünglichen Crewmitgliedern aus dem Jahr 2004 am selben Ort realisiert wurde, so haben sich die Vorzeichen geändert. Geradewegs kann dadurch ein Konnex zu LeWitts Intention hergestellt werden, sowie dieser in sentences on conceptual art, dem theoretischen Unterbau der Konzeptkunst, folgendes schrieb: „Perception of ideas leads to new Ideas“, zu Deutsch: „Die Wahrnehmung von Ideen führt zu neuen Ideen“. So ist es nun auch im Kunsthaus Graz. Zum einen ist es diesmal durchaus intendiert, die Wall bewusst als politisches Manifest zu lesen. Instinktiv geschah das wohl schon 2004, jedoch weniger als konkretes visuelles Zeichen, als das sich die Wall eigentlich auftut. Man denke an die Berliner Mauer, auf die die Installation wohlgemerkt als Leichtbetonskulptur anspielen könnte. Oder – räumlich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Stadt Graz – an den nur knapp mehr eine Dekade vor LeWitts Kunsthaus-Personale vollzogenen Fall des Eisernen Vorhangs. Zeitlich noch näher liegen dann die Zaunerrichtungen in Mexiko im Jahr 2004. Auch der Ost-West-Konflikt sickert als Folie durch. Das alles wurde damals jedoch angesichts der Herausstellung formaler Gegebenheiten - dem Zusammenspiel von augenfälliger Schwere und materieller Leichtigkeit, der raumvermessenden Technik, dem Sinneseindruck und der Raumwahrnehmung sowie der Organik – wenig berücksichtigt. Setzt man heute eine Wand in den Raum, kommt man hingegen schwer umhin, sie von politischen Assoziationen zu lösen. Die Grenze als Mauer ist zum Bild des Alltages geworden. Eine Mauer in den Raum zu stellen, in welcher Form auch immer, kann gar nicht anders, als gesellschaftspolitisches Statement zu sein.

Die Mauer also wird zur politischen Mitteilung, sie trennt innen von außen, grenzt räumlich ab, spricht von Grenzziehungen zwischen Eigenen und Anderem, von Alterität und Differenz. LeWitts Mauer lässt plötzlich an die gegenwärtigen Entwicklungen Europas sowie an das sich zusammenziehende politische Gewitter denken – an die Abschottungstendenzen nach innen, an sich vermehrende Zäune und Mauern an den Grenzen, an menschenunwürdige Zurückweisungen. Ebenso birgt sie versöhnliche Momente wie den Blick über die Mauer in sich und changiert damit zwischen Realität und Utopie.

Zum anderen wird das Prozesshafte der Aktion herausgestellt und darauf basierend verhandelt, wie sich Begriffe der (Zusammen)Arbeit und Delegation verändert haben und zwar auch innerhalb der Institution Kunsthaus selbst. Die Wall war diesmal in ihrer Entstehung live beobachtbar und zwar vom ausgestellten Konzept über ihre sukzessive Errichtung bis hin zur Vollendung. Das Publikum bekommt also nicht ein fertiges Kunstwerk geliefert, sondern kann den Prozess über die Zeit hinweg begleiten, als den sich die Wall eigentlich immer schon gibt. Zu diesem Zwecke markierte also nichts weiter als ein im Raum stehendes, gerahmtes Blatt Papier als Gedankenfetzen – das Manifest LeWitts zur Wall - den Anfang. Wer unmittelbar nach Ausstellungsbeginn den Space01 betrat, konnte sich mehr als eine Woche lang von der Potentialität des leeren, alleine von der Idee beseelten Raumes á la sentences on conceptional art überzeugen lassen. Die Mauer kam erst sukzessive hinzu und wurde schließlich in einer zwei Wochen andauernden, im Ausstellungskontext verhafteten Installierung realisiert, symbolisch einem gedanklichen Akt gleich, der sich erst langsam aufbaut, bis er konkrete Form annimmt. Diese öffentlich ungewöhnliche Anlaufphase war und ist gezielt für die Nutzung eines Möglichkeitsraumes gedacht, den sich Beobachter:innen dann zu eigen machen. Dieser ist auch nach Errichtung des Werkes nicht abgeschlossen, die Idee erhält stets neue Ausformungen. In diesem Möglichkeitsraum der Wall als Idee, später Arbeitsprozess und dann physische Manifestation gesellen sich seit Ausstellungsbeginn auch künstlerische Werke. Jasmina Cibic widmete sich mit THE DREAMS WE CALL OUR OWN - einer 8-stimmigen Performance - dem Aspekt der visionären Kraft des Protokolls, das utopisch wie dystopisch gleichermaßen sein kann. Winfried Ritsch bearbeitete die Konzeptidee neu, indem er der Mauer ein akustisches Werk als Impulsantwort entgegenstellte, die den Klang nochmals vermisst, ähnlich wie die Wall es mit dem Raum tut. Das Kollektiv Superflex wird über Weihnachten einen Kopier-Workshop veranstalten, der, anknüpfend an den Begriff der Konzeptkunst der Frage nachgehen wird, wie sich Parameter von Autorschaft und Kopie bei reproduzierbaren Werken zueinander verhalten. Dazwischen tauchen Einzelgängerpositionen von Franz Vana und Renate Krammer als Dialogpartner zur Wall auf, die sich mit modularer Kombinierbarkeit und konzeptioneller „Linientreue“ auseinandersetzen.

Das Kunsthaus Graz spielt den Prozess von LeWitt Konzept also nochmals, mehr als ein halbes Jahr lang, vor dem Hintergrund sich verändernder Bedingungen durch und lässt das Publikum daran teilhaben. Es ist kuratorisch durchaus mutig wie zugleich prekär, sich an LeWitts Gedankenspirale abzuarbeiten, noch dazu vor dem Hintergrund der Einbeziehung gegenwärtiger Entwicklungen und zeitgenössischer Kunstpositionen. Sol LeWitt's Wall. Performed ist daher auch keine Reprise, sondern eine Reinszenierung am Puls der Zeit. Und die Wall kann nun vielleicht das, was in LeWitts Zeit vielleicht radikaler, doch mehr als Utopie denn als Realität anmutete. Sie kann ganz Konzept sein.

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Florian Gucher ist artmagazine Stipendiat 2023
Wir danken der   für die Unterstützung des artmagazine-Stipendiatenprogramms

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Sol LeWitt's Wall. Performed
28.09.2023 - 10.06.2024

Kunsthaus Graz
8020 Graz, Lendkai 1
Tel: +43/316/8017-9200, Fax: +43/316/8017-9800
Email: info@kunsthausgraz.at
http://www.kunsthausgraz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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