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Kunst außerhalb des Betriebs

Verfolgt man die aktuelle Kunstszene, etwa in den klassischen (gedruckten) Medien, dann gewinnt man schnell den Eindruck, Kunst spielt sich fast ausschließlich im sogenannten „Kunstbetrieb“ ab. Soll heißen: in Galerien, in mehr oder weniger renommierten Ausstellungshäusern und Museen, oder etwa in den immer zahlreicher werdenden Biennalen. Einerseits verwundert dieser Eindruck nicht, andererseits aber täuscht er.
Die Anzahl der Galerien ist in letzter Zeit stark gestiegen: In Berlin etwa gab es in den 1990er Jahren etwa 50 Galerien, aktuell sind es bereits um die 600. Die Sichtbarkeit und (wirtschaftliche) Bedeutung von Galerienkunst für den Kunstbetrieb hat entsprechend zugenommen. Auch Ausstellungshäuser gewannen in letzter Zeit an Gewicht, nicht zuletzt, weil sie für das Stadtmarketing vieler Metropolen eine wichtige Rolle spielen. Dieses gilt auch für Biennalen und andere internationalen Großausstellungen, die die jeweils ausrichtende Stadt mit Hilfe der oftmals kritischen Inhalte als „weltoffen“ bewerben können und zudem die als Ausstellungsorte genutzten Immobilien aufwerten. Folgerichtig versteht dann nicht nur Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo die Kultur jetzt auch nur noch als eine „für die Stadt wichtige Branche“, als „Kulturwirtschaft“.    

Doch Kunst kann weit mehr als lukrative „Kulturwirtschaft“ und so täuscht der eingangs geäußerte Eindruck eben auch. Denn abseits dieser ästhetischen Eventkulturen gibt es immer noch die „guten alten“ Offspaces wie etwa die Wiener Kulturdrogerie, und die eher an konkreter politischer Wirkung als an Kunstbetrieb-Renomee interessierten Künstlerkollektive - man denke nur an das das Peng!Kollektiv oder die musealen Kleber der Letzten Generation. Und vor allem sind da auch die engagierten Initiativen, die sich in urbanen Nischen einnisten, um dort ihre projektbasierte Arbeit in einem Spannungsfeld von Sozial- und Kunstarbeit zu leisten.

Ein gutes Beispiel für Letzteres ist das Langzeit-Projekt „Strandbad Tegelsee“ am grünen Stadtrand von Berlin. Die Künstlerinitiative „Neue Nachbarschaft/Moabit“ hat dieses Strandbad für ganze 40 Jahre gepachtet und nutzt dieses nun als „Zentrum für Erholung und Kultur“. Dort, wo man eigentlich nichts anderes als vergnügliche Sommerfrische erwartet – zumal der Badebetrieb im „Strandbad Tegelsee“ fortgeführt wird – findet jetzt ein so multikulturelles wie interdisziplinäres Kulturprogramm statt. Das breite Spektrum reicht vom gemeinsamen Lesen diverser Literatur bis zu einem „Erde-Workshop“, in dem die Farbherstellung aus Naturmaterialien gelernt wird, von offenen Schachturnieren bis zu Open-Air-Konzerten, von Exkursionen in das umgebende Wasserschutzgebiet bis hin zu einem vielstimmigen „Begegnungschor“, in dem gemeinsam gesungen wird. Dieses Jahr fand zudem das Symposium „fantastic feminist futures“ mit eingeladenen Gästen nicht nur aus dem akademischen Feld statt. Initiatoren dieser mehrtägigen Veranstaltung waren die Künstlerinnen Nadira Husain und Marina Naprushkina. Beide übrigens haben mit dem Berliner „*foundationClass*collective“ an der letzten Documenta teilgenommen. Und das ist kein Zufall: Auch die Documenta 15 hatte ja die künstlerisch-kollektive Projektarbeit in das Zentrum ihrer Veranstaltung gestellt – was allerdings leider nicht zu mehr Sichtbarkeit für wichtige Initiativen wie das „Strandbad Tegelsee“ geführt hat. Als „dark matter“, wie es der Kulturkritiker Gregory Sholette einmal genannt hat, gleichsam als existente, aber nicht sichtbare dunkle Materie also fristet diese Projektkultur meist immer noch abseits der Orte der „Kulturwirtschaft“ ihr Dasein.

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Abbildung: Lahya Aukongo und Amora C.Bosc im Rahmen von fantastic feminist futures, Foto: Marina Naprushkina

Die Programme der genannten Institutionen finden sie unter
http://kulturdrogerie.org
https://seeee.de
http://pen.gg/

Mehr Texte von Raimar Stange

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