Iris Meder †,
Brevier des Bauens
Architekturtheorie-Anthologien kranken zumeist daran, dass nur Texte prominenter, renommierter und möglichst schillernder Architekten ausgewählt werden. Schwerlich würde es wem einfallen, Kunsttheorie zur alleinigen Domäne praktizierender Künstler zu machen oder Filmtheorie zu der von Regisseuren. In der Architektur scheint sich dergleichen aber zum allgemeinen Usus entwickelt zu haben.
Die Anthologie architekturtheoretischer Texte des 20. Jahrhunderts, die Ákos Moravánszky zusammengestellt hat, wendet sich bewusst gegen diese Praxis. Daher findet man nicht nur Otto Wagner, sondern auch den in seinen Bauten eher unbedeutenden, aber in seinen Einfluss enorm wichtigen Camillo Sitte, nicht nur die üblichen Verdächtigen Gropius, Mies van der Rohe, Le Corbusier, Rem Koolhaas und Peter Zumthor, sondern auch Kritiker und Modernetheoretiker wie Walter Curt Behrendt, Herman Sörgel und den Schweizer Peter Meyer. Auch der Bedeutung, die die neuen Raumwahrnehmungs-Theorien für die Architektur der Moderne hatten, trägt Moravánszky mit der Auswahl von Texten etwa des Bildhauers Adolf Hildebrandt, von Kunsthistorikern wie Riegl, Wölfflin, Pinder, Sedlmayr und Worringer und Soziologen, Philosophen und Schriftstellern wie Georg Simmel, Umberto Eco, Paul Virilio, Michel Foucault und Georg Lukács Rechnung.
Ein weiterer Pluspunkt von Moravánszkys Anthologie ist die Zusammenstellung nicht in chronologischen Unterteilungen, sondern in den thematischen Themenblöcken Stil, Raum, Konstruktion, Monumentalität und Ort. Einer allgemeinen Einführung zum jeweiligen Themenkreis folgen die mit kurzen Ausführungen zu den Autoren und ihrem Umfeld eingeleiteten Primärtexte. Das alles in der von Moravánszky gewohnten prägnanten, konzisen Form, die das Lesen für Laien ebenso wie für Fachleute zur reinen Freude macht. Vielleicht nicht die klassische Urlaubs-Strandlektüre; trotzdem: unbedingte Empfehlung.
Moravánszky, Á. (Hrsg.)
Architekturtheorie im 20. Jahrhundert
Eine kritische Anthologie
Unter Mitarbeit von Katalin M. Gyöngy.
Springer Wien/New York
2003. VIII, 591 Seiten. 108 Abbildungen. Format: 16,5 x 24,2 cm
Gebunden EUR 59,80
ISBN 3-211-83743-4
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