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Viva Arte Viva: Freudlose Party

Ein Gesamteindruck wie nach einem schlecht gespielten Konzert. Einen schalen Nachgeschmack hinterlässt die zentrale Biennale Ausstellung im Arsenale und den Giardini diesmal. Erstaunlich, wie wenig doch in der Realität übriggeblieben ist von dem groß angekündigten »Fest für die Kunst«, das Kuratorin Christine Macel in ihren kulturpopulistischen Worten ausgerufen hat. Vielleicht war es gar nicht so falsch, die einzelnen Bereiche der Ausstellungsgeografie so trivial klingenden Themen wie der Freude, den Ängsten, den Farben, den Traditionen oder dem Dyonisischem zu widmen. Doch sofort erinnert man sich, wie viel an Spannung, Überraschung, Irritation und – vielleicht sogar – Zauberkraft so manche ihrer Vorgänger oder KollegInnen aus all den Schlagworten rausgeholt hätten. Gerade in einer Umgebung, in der evident ist, unter welch schwierigen Bedingungen viele der Länderpräsentationen wie jene Chinas, jene der Türkei, der russischen Föderation, Ungarns oder Polens zustande kommen, hätte die große Biennale Ausstellung diesmal eine visionäre Schneise schlagen sollen. Leider reißt sie einen gar nicht mit. Zwar war es richtig, die Wände des Arsenale möglichst hoch und großflächig zu bespielen. Allerdings wurde dieser Einfall derart konsequent umgesetzt, dass sich die über die Jahre clean renovierten Hallen, nun in eine beliebig fortsetzbare Geografie der Farben und Formen aufgliedern, anstatt in eine spannende Ausstellung. Wenig Rhythmus, wenig Überraschungsmomente. Nicht einfach wird es für das schnell durchstreifende Publikum sein, die einzelnen Positionen etwas differenzierter wahrzunehmen. Auch wenn man es gelten lässt, dass im Arsenale wieder einmal Ernesto Neto als visuelles Event-Element eingesetzt wird, so gehen die Unterschiede zwischen jenen KünstlerInnen, die im weitesten Sinn mit Stoff arbeiten – wie hier auch Franz Erhard Walter oder Sheila Hicks – fast unter. Dass hier eine aus farbigen Musikkassetten als Speicher und Material bestehende großflächige Arbeit der Künstlerin Maha Malluh aus Saudi Arabien gezeigt wird, könnte fast den Eindruck erwecken, dass hier die Farben eine Rolle spielten. Doch geht es der Künstlerin um die Auseinandersetzung mit Zuschreibungen und Tabus, mit denen Frauen im arabischen Raum konfrontiert sind. Diesen emanzipatorischen Aspekt könnte man in einem anderen Kontext vielleicht besser lesbar machen. Oft jedoch begegnet man einer Nähe im Material, vielleicht auch in der Farbigkeit, während die Konzepte Äonen weit auseinander liegen. Umgekehrt tun sich durchaus spannende Momente auf, wenn etwa im großen Pavillon in den Giardini eine Sequenz sich dem Buch als Objekt künstlerischer Konzepte, als Speicher, Agglomeration von Zeichensystemen und anderen Bedeutungen widmet. Beispielsweise ist es schön zu sehen, wie sich die zeichnerische Arbeit von Ciprian Muresan weiterentwickelt hat. Zu sehen sind Blätter mit übereinander liegenden Tiepolo-Motiven. Auch die persönlichen Büchlein und Notizen von Abdullah al Saadi oder die Buch-Images von Liu Ye und die Buch-Bild-Objekte von John Latham sind so inspirierend, dass einem dazu auch gleich noch Peter Weibels Bibliotheks-Objekte oder die Objekte des Südafrikaners Wim Botha einfielen. Insgesamt wäre also noch Potential da gewesen, die Themen präziser durchzuarbeiten, mehr assoziative Tentakel auszulegen. Auch geschlafen wird auf dieser Biennale übrigens. Die US-Künstlerin Dawn Kasper hat ihr Atelier in den zentralen Hauptpavillon verlegt. Sofern möglich, ist es auch Ruhezone zwischen den Kreativphasen; in der Nähe daher eine – etwas unspannende – Franz West Liege. Da gibt es sicher tollere Objekte. Dafür aber die Fortsetzung des Themas durch Yelena Vorobyeva & Viktor Vorobyev aus Turkmenistan bzw. Kasachstan mit der Installation »The Artist Is Asleep«. Kleine Entdeckungen, aber leider beiläufig abgestellt. Ein Thema das eigentlich Witz hätte und auch verbunden ist mit den Prozessen von Kreativität. Wie finden sie statt? Nur all zu leicht könnten da falsche Assoziationen aufkommen, die in Richtung Kunst aus der Inspiration – oder so ähnlich – weisen würden. Schade auch, dass man manche wunderbaren Werke wie eine der magischen Seh- und (optischen) Erkenntniskonstruktionen von Attila Csörgö fast übersieht, weil dessen sensibles Lichtobjekt nach dem Endlosparcours durch das Arsenale (ebenso wie eine Arbeit von Vadim Vishkin) in einem kleinen Gebäude abseits präsentiert wird. Zwar ist der Ort plausibel, doch fällt hier erst auf, wie aufregend solche Situationen gewissermaßen als Bruch, als Strophe im Arsenale wirken hätten können. Inhaltlich passend natürlich. Selbstverständlich gibt es interessante Sektionen – oft dort, wo es eher klassisch zugeht. Die abstrakten, sich auf schwarze Subkulturen beziehende Malerei des McArthur Binion – einer der ersten schwarzen, minimalistischen Künstler, der sich durchsetzen konnte – gehört dazu. Auch die filmische Arbeit »Pasolini Ostia Remix« von Cerith Wyn Evans. Zwischendurch Kiki Smith oder installative Arbeiten mit Damenstrumpfhosen von Sung Hwan Kim. Dass Kuratorin Christine Macel – wie vielfach kolportiert – eher Positionen von der Peripherie abseits der großen Kunstzentren hereingeholt hätte, stimmt also nur punktuell. Da würden einem schon ernsthaftere Forschungen an den sogenannten Peripherien einfallen; etwa Catherine Davids Auseinandersetzung mit dem nordarabischen Raum als Projekt in der Fundació Antoni Tàpies oder die fotografische Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus im Garage Museum. Große Namen mit weniger bekannten zu mischen, wäre eine guter Ansatz, der hier bloß im zögerlichen Versuch hängen blieb. Einen neuen, ungewohnten Blick, eher von den Rändern her, das wäre etwas anderes, wahrscheinlich Ernsthafteres gewesen, als Christine Macel hier – unterlegt mit einem anachronistisch feierlichem Pathos – umsetzte . So wie einstmals der Gründungsgedanke der Venedig Biennale, haben alle derartigen Veranstaltungen heute im Sinn, neue Schneisen zu öffnen, zu überraschen, den Blick zu verändern, um zu fragen, was es mit unserer Gegenwart heute auf sich hat. Und ganz besonders gehört das allerorts gefährdete soziale Leben auch dazu. Diese Idee ging hier komplett verloren. Anstatt »Wow!« auszurufen, geht man mit einem müden »Aha« weiter. Und das war’s dann.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Viva Arte Viva
12.05 - 26.11.2017

La Biennale di Venezia - Arsenale & Giardini
30122 Venezia,
http://www.labiennale.org
Öffnungszeiten: täglich 11 - 19 h, Fr, Sa bis 20 h,
Montag geschlossen außer 25/07, 15/08, 5/09, 19/09, 31/10, 21/11


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