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Artissima 2016: Qualität zahlt sich aus

Als inhaltlicher Fels in der Brandung der Investorenkunst hat sich die Artissima in Turin über die Jahre ein Standing aufgebaut, das sich auszahlt. Während sich das Land in einer Dauerkrise befindet und die Spekulationen über einen Euro- oder gar EU-Austritt nicht enden wollen, erweist sich die wichtigste Kunstmesse Italiens als mindestens stabil. Selbst der Politikwechsel durch eine Cinque Stelle-Stadtregierung trägt paradoxerweise dazu bei. Die von der Kommune betriebene Messe musste ihren Direktorenposten nach EU-Recht ausschreiben, nachdem der Vertrag von Sarah Cosulich-Canarutto mit dieser Ausgabe ausläuft. Hätte der alte Bürgermeister wahrscheinlich eher auf einen Wettbewerb der Ideen gesetzt, scheinen sich die Vertreter der jetzt regierenden Protestbewegung wegen fehlender kulturelle Expertise eher an das Bewährte halten zu wollen. Die alte Direktorin wird wohl auch die neue sein. Das stete Beharren auf Qualität und junge Kunst trägt im Strukturwandel des Kunstmarkts Früchte. Gregor Podnar aus Berlin, der seit 2004 an der Messe teilnimmt und mittlerweile im Komitee sitzt, berichtet, dass zunehmend Sammler nach Turin kommen, die in London oder Paris nicht mehr die spannenden Entdeckungen machen. Zudem gehörten Italiener zu seinen versiertesten, treuesten und – für ihn fast am wichtigsten – aufgeschlossensten Sammlern. Nur von Italienern könnte die Messe allerdings kaum überleben. Bislang war die mangelnde Internationalität der Besucher das große Manko der Veranstaltung. Das scheint sich zu ändern, und zwar von mitunter überraschender Seite. In diesem Jahr wurden ganze Gruppen aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern auf der Messe gesichtet. Einige hatten ihre Stoffbeutel von der ArtBo in Bogota letzte Woche dabei. Daniel Marzona aus Berlin ist Erstteilnehmer und wusste nach eigenen Angaben nicht, was ihn erwartet. Von daher fand er es nicht ungewöhnlich, dass ein Peruaner bei ihm ein großes Gemäde von Paolo Chiasera gekauft hat. Polina Stroganova von Proyectos Monclova aus Mexiko Stadt ist überrascht von den neuen lateinamerikanischen Kontakten, die sie hier gemacht hat. Gekauft hätten diese zwar nicht; das könnten sie ja dann zuhause tun. Bei ihrer zweiten Teilnahme hat sie an mehrere europäische Kunden verkauft. Von überraschend zahlreichen Verkäufen in die ganze Welt, unter anderem an das in Mannschaftsstärke angereiste Philadelphia Art Museum, berichtet auch Żak Branicka aus Berlin. Es könnte also alles so schön sein. Der Erfolg macht allerdings auch angreifbar. So hat die Artissima das Konzept „Back to the Future“, mit von Markt und Museen vernachlässigten Positionen der jüngeren Vergangenheit zwar erfunden, doch längst haben Art Basel und Frieze sich dieser Idee bemächtigt und ziehen mit ähnlichen Formaten die stärksten Wiederentdeckungen an sich. Turin hat dagegen bisher kein Mittel gefunden. Die aktuelle Ausgabe der Sektion wirkt daher nicht so überzeugend wie die ersten Ausgaben. Die Sektion Present Future für ganz junge Kunst fällt dieses Jahr unerklärlicherweise ebenfalls schwach aus. Möglicherweise sollte man sich nicht ganz so stark auf Kuratoren für die zahlreichen Sektionen verlassen. Das hält zwar durch Outsourcing der Akquise den eigenen Apparat schlank, geht aber mit einem Kontrollverlust einher. Die an immer mehr Orten anzutreffende Selbstorganisation der Galeristen hat in Turin ebenfalls einen Spross getrieben. DAMA heißt die Mini-Messe in der Beletage eines Palazzos im Zentrum. Insgesamt zehn Aussteller hat der einheimische Galerist Giorgio Galotti zusammengetrommelt, darunter mit Drei (Köln), Tobias Naehring (Leipzig) und Neumeister Bar-Am (Berlin) drei deutsche. Jede Galerie bespielt bespielt einen Raum und zahlt dafür 1.500 bis 2.500 Euro. Das kommunizierte Konzept der Künstlerauswahl durch einen Kurator und der Ortsspezifität der Arbeiten hält der Überprüfung zwar nicht unbedingt stand, doch erweist sich die Präsentation zwischen Seidentapeten und Deckengemälden als durchaus reizvoll. Für das nächste Jahr ist eine maßvolle Vergrößerung angedacht und durch das Einwerben von Sponsoringgeldern sogar die Einladung von Sammlern. Insofern unterscheidet sich DAMA von anderen Satelliten, die von den Hauptmessen profitieren, ohne selbst in die bestehende Infrastruktur aus Sammlerpräsenz, medialer Aufmerksamkeit und Begleitprogramm zu investieren.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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Artissima 2016
04 - 06.11.2016

Oval - Lingotto Fiere
10126 Turin, Via Nizza 294
Email: info@artissima.it
http://www.artissima.it
Öffnungszeiten: täglich 11 - 19 h


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