Iris Meder †,
Nachruf zu Lesezeiten
Besonders glamourös war er nie, der Hauptlesesaal der Nationalbibliothek. Aber kurz vor seiner Demolierung ist man doch versucht, eine Bilanz zu ziehen. Und die fällt eigentlich nicht so schlecht aus. Als 1959-66 die Neue Hofburg umgebaut wurde, waren Siegfried Theiß und Hans Jaksch die Seniorchefs eines 1907 gegründeten Büros, das Jakschs Sohn Walter verstärkte. Die Nationalbibliothek war das letzte Projekt, dessen Realisierung sie erlebten. Beginnend mit dem Heimatschutzstil über Expressionismus, Neue Sachlichkeit und die Megalomanie der Nazizeit und endend bei einem schlichten, zurückgenommenen, manchmal auch blutleeren Alterswerk machten sie alle Trends der ersten Jahrhunderthälfte mit.
Zum Meilenstein der Moderne wird den Lesesaal niemand erklären. Zu denken gibt es aber, wenn solider, haltbarer und funktionierender (Innen-)Architektur keine Chance gegeben wird, sich im Alterungsprozess zu bewähren. Theiß/Jakschs Umbauten haben die vergangenen vierzig Jahre sehr gut überstanden. Die großen Holztische sind stabil und elegant wie eh und je und besonders der durch eine filigrane Glaswand abgeteilte rückwärtige Teil mit seiner Holzdecke und den Gipsreliefs ein intimer Studienraum mit ruhiger, warmer Atmosphäre.
Es ist zu befürchten, dass nichts besseres nachkommt. Die etwas hausbackenen, aber "außerordentlich bequemen, neu entwickelten Ledersessel" wurden schon vor längerer Zeit durch solche ersetzt, deren Armlehnen es unmöglich machen, sie nahe genug an den Tisch zu schieben, um sich beim Lesen anlehnen zu können.
Vergangenes Jahr musste schon die Buchausgabe daran glauben. Die dezente Eleganz der schlichten Holz-Glas-Counter wurde einem billigen Stehcafé-Look mit viel rotem Glas geopfert. Ohne erkennbare Notwendigkeit wird jetzt, in Zeiten, die die hippe Sixties-Ästhetik bereits kopieren, ohne nachvollziehbaren Grund vollends auf den Müll geworfen, was klaglos funktioniert. "Erlebnis" ist hier freilich nicht geboten. Dafür waren die Bücher gedacht.
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