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Adrián Villar Rojas: Wenn das Museum zum Bühnenbild wird

Adrián Villar Rojas verwandelt das Kunsthaus Bregenz in seiner Ausstellung The Theater of Disappearance in ein Gesamtkunstwerk. Es ist ein beeindruckendes Spektakel, das den Besucher in eine andere Welt eintauchen lässt. Eine Welt, in der man sich frei bewegt, Eindrücke für alle Sinne erfährt, sich verliert und seine eigenen Erfahrungen macht. Das Museum ist für den Künstler kein Ort mit Beschreibungen und Anleitungen, sondern ein Zufluchtsort und Experimentierfeld. Für Rojas hat das Kunsthaus Bregenz nicht nur in seiner architektonischen Ausführung, sondern auch in der Wertschätzung der Museumsangestellten einen tempelhaften Charakter.

Das von Peter Zumthor geplante Ausstellungshaus ist bekannt für gewagte, aufwendige Produktionen, aber selbst die Vorbereitungszeit von einem Jahr war in der 20-jährigen Geschichte des Hauses nicht zu übertrumpfen. Für Rojas’ Schau wurde nicht nur das komplette Erdgeschoß von seiner funktionalen Einrichtung – Kassabereich, Buchregal, Garderobe – befreit, sondern Marmorplatten, Replikate und diverse Materialien in unvorstellbaren Dimensionen nach Bregenz gebracht. Dass der argentinische Künstler ein Faible fürs Theater hat, merkt man neben dem Titel anhand der bühnenhaften Inszenierungen, die sein Team in Zusammenarbeit mit den Museumstechnikern realisierte.

Die Ausstellung gliedert sich in vier Bereiche, wobei jeder Zyklus ein Stockwerk in Anspruch nimmt. Beginnend im Erdgeschoß betritt man einen leeren Raum, dessen Fenster vollständig mit farbigen, abstrakt wirkenden Klebefolien abgedeckt wurden. Es sind Architektur- und Straßenszenen aus dem Melodram „2046“ des chinesischen Regisseurs Wong Kar-Wai, das Rojas besonders gut gefällt. Die gleiche Vorliebe hat er für Renaissance-Kunst: So vergrößert er das Fresko mit der Madonna del Parto von Piero della Francesca aus dem fünfzehnten Jahrhundert auf einem durch den gesamten Raum verlegten Holzboden.

Den ersten Stock verwandelt Adrián Villar Rojas in eine überdimensionale Höhle. Auf dem Boden häufen sich neben abgetragenen Steinen und Fundamenten aus Ausgrabungsstätten unzählige Ammoniten und Fossilien. An den Wänden sind prähistorische Höhlenmalereien angebracht: Jagd- und Tierszenen vermischen sich mit brasilianischer Graffiti-Kunst. Der dunkle, düstere Raum, den eine mit Efeu behangene Decke noch drückender wirken lässt, gleicht eher dem Blick aus der fernen Zukunft auf eine sterile urgeschichtliche Nachbildung.

Der dritte Zyklus scheint mehr ein Versuch zu sein, sich mit dem Grand Artiste des zwanzigsten Jahrhunderts zu messen. Wuchtiges, steinernes Sitzmobiliar, das in seiner kreisförmigen, thronhaften Anordnung ein Gefühl der Ehrfurcht auslöst, ist dem von der Decke gehängten Replikat der Guernica gegenübergestellt. Dahinter schaut ein ebenso großes Bild eines Jägers und zweier Dinosaurier hervor. Verweisen die Flammen unterhalb des Bildes auf die Zerstörung der Stadt während des zweiten Weltkriegs oder möchte Rojas gar Picassos Meisterwerk, für das Picasso unzählige Skizzen angefertigt hatte, am liebsten verbrennen? Es sind Vermutungen, die sich in den bühnenhaften Inszenierungen ebenso schnell verlieren, wie sie aufgekommen sind.

Auch den letzten Zyklus könnte man als ironischen Wink auf die bekannteste Skulptur der Kunstgeschichte verstehen. Der gesamte Raum ist mit einem in hellem Grauton gehaltenen Kunstharz ausgegossen, die in weißem Marmor angefertigten Füße Michelangelos Davids und daneben zwei spielende Kätzchen sind auf eine Rampe gestellt.

Warum schließt sich hier wieder der Kreis zur Renaissance? Geht es Rojas um ein Aufzeigen der Meilensteine der Kunstgeschichte – beginnend mit den einfachsten Kritzeleien auf Stein, hin zum religiösen Fresko, zur ersten Monumentalstatue der Renaissance und schließlich zum Meisterwerk des Kubismus? Oder dienen die Vorbilder als Kulissen seiner Bühnenbilder, die erst durch den Besucher zum Leben erweckt werden? 

Dem 1980 in Rosario geborenen Bildhauer und Installationskünstler scheint noch eine große Karriere bevorzustehen, denn er vertrat Argentinien bereits im jungen Alter von 31 Jahren auf der Biennale di Venezia. Die bis 27. August laufende Ausstellung im Kunsthaus Bregenz ist übrigens Teil einer Ausstellungsreihe, die dieses Jahr unter dem Titel The Theater of Disappearance im Museum of Contemporary Art, Los Angeles, im MET Museum, New York, sowie im Nationalen Observatorium, Athen, zu sehen ist.

Mehr Texte von Désirée Hailzl

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Adrián Villar Rojas
13.05 - 27.08.2017

Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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