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18 Karat

„Humble“ sei der „Restroom“, befand die New York Times, wie er sich auf der Rampe des Guggenheim Museums im fünftem Stock dem Darbenden bietet. Weniger bescheiden und zurückhaltend ist die Sitzgelegenheit, die jetzt an diesem Ort, der ein Örtchen sein soll, zur Verfügung steht. Maurizio Cattelan, notorischer Spaßvogel des Betriebs mit ebenso einschlägigem Blick nach Drei Tage Regenwetter, hat nämlich Hand und Klempnerwerkzeug angelegt. Seit diesem Freitag ist die sanitäre Anlage zur Benutzung freigegeben. Man kann seinen gastro-intestinalen Befindlichkeiten jetzt auf einer Kloschüssel stattgeben, die ganz und gar aus Gold besteht, 18 Karat, wie Insider wissen, basierend auf einem Modell der Firma Kohler und natürlich voll funktionsfähig. Auch, wie es sich gehört, im Sinn des ästhetischen Mehrwerts: „The throne has arrived“ war der NYT-Artikel entsprechend überschrieben. Der König Museumskunde wird es zu schätzen wissen. Foto: Kris McKay/Solomon R. Guggenheim Foundation Zum Reflex der Moderne gehört es, dass sofort der Odeur von Marcel Duchamp aufsteigt. Also ist zur Anreicherung mit Sinnüberschuss „Fountain“ bemüht worden, das Pissoir, notorischer noch als Cattelans mediterrane Melancholie, das sich vor auch schon wieder 90 Jahren angeschickt hatte, in New York für Furore zu sorgen. Duchamp, der eigentlich ein Esoteriker war und mit seinen Ready-mades versuchte, irgendwelche Dimensionalitäten hinter der Räumlichkeit der Welt auszuloten, wurde mit der ziemlich haltlosen Dada-Geste des aufgesockelten Urinoirs zum Stammvater all derer, die es kritisch meinen, skeptisch und provokativ, aber dann doch lieber Schach spielen als sich auf die Straße zu stellen. Aber wem erzähl ich das. Angesichts von Cattelans Gelegenheit zum Sitzpinkeln auf Duchamps Gelegenheit zum Stehpinkeln zu kommen, ließe so etwas wie eine Progressionsgeschichte entstehen. Da käme einem dann noch Jeff Koons in den Sinn, vor allem dessen gemeinsam mit Cicciolina in Szene gesetzte Kampagne „Made in Heaven“. Motto: Bei Duchamp lässt Mann den Schwanz drin, bei Koons holt er ihn heraus. Wie auch jetzt bei Maestro Maurizio. Gelegenheit zum Fremdschämen gibt es jedenfalls genug, aber auch das gehört zum Mechanismus, den der Kunstbetrieb natürlich längst berücksichtigt und eingebaut und als Reflexionsgeste mitgemeint hat. Vielleicht ist Cattelans Kunststück genealogisch aber doch älter als das Ready-made. Vielleicht reicht es zurück zum, sagen wir, Apoll vom Belvedere. Steht man vor diesem marmornen Schönling, dann gibt es bei aller Wohlgestalt und Harmonie und edler Einfalt und stiller Größe, etwas, das stört. Der seltsame Augendruck kommt von den steinernen Stegen, die unvermittelt das Handgelenk mit der Hüfte verbinden, oder von dem klobigen Baumstrunk, der sich um den Unterschenkel windet. Ganz klar, die kruden Klötze dienen der Stabilisierung, denn der Marmor würde sich sonst in Einzelteile zerlegen. Der großartige Apoll ist eine römische Kopie nach einem griechischen Original. Und er ist es in Stein, nach einem Vorbild aus Bronze. Und der ist vor allem schwer. Die Römer jedenfalls wollten es in Marmor. Sie wollten es massiv. Sie wollten es wie heute die Spießer die Schrankwand in Eiche. Was man sich eben so wünscht, wenn man keinen Geschmack hat. Cattelan will es in 18 Karat. Durch und durch. Massivität war immer schon barbarisch.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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