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curated by_Diana Campbell Betancourt - You Cannot Cross the Sea Merely by Staring at the Waves: Destination Europa

Trotz der problematischen Kolonialgeschichte Europas übt dieser „Kontinent in der Krise“ auf viele eine nachhaltige Faszination aus. Vor allem wenn es um die Autonomie der Kunst geht, sind außereuropäische Kunstschaffende offenbar motiviert, ähnlich wie in der europäischen Kunst, ihre Weltsicht zum Gegenstand kritischer Analyse zu machen und in künstlerische Handlung zu verwandeln. Der Soziologe Zygmunt Bauman nennt in seinem Buch „Europe: An Unfinished Adventure“ diese Art von Kulturtransfer, die nicht zuletzt dem Zugang zum Internet zu verdanken ist, eine Weltreinkarnation. Im Rahmen der Reihe curated by_ - diesmal unter dem Motto "Meine Herkunft habe ich mir selbst ausgedacht" -findet in den Krinzinger Projekten eine Ausstellung über das Schaffen einer neuen Generation junger Künstler_innen aus Bangladesch statt - einer der jüngsten Staaten Südasiens -, die zeigt, wie man im digitalen Zeitalter durch Spannungen, Dialog und Zwietracht das kulturelle Gemeinwohl aus globaler Sicht erneuern und weiterentwickeln kann. Die prägnanteste Skulptur der Ausstellung, Deal with Change, besteht aus unzähligen türkischen Fladenbroten, die zwischen Decke und Boden zu einer „unendlichen Säule“ zusammengequetscht wurden. Dieser absurde Abkömmling von Brancusi gemahnt an die Notwendigkeit, das Gemeinwohl stets auch in seiner politischen Dimension zu erneuern, egal wo man sich gerade in der Welt befindet. Rafiqul Shuvo (*1982), der vielseitige Künstler und Aktivist, der diese Skulptur in situ schuf, lebt in der Zwischenzeit in Wien und war zuletzt Stipendiat in den Krinzinger Projekten. 2012 kuratierte er in Dhaka die Ausstellung OnlyGodCanJudgeMe, die zur Entstehung eines künstlerischen Kollektives beigetragen hat, von dem einige Mitglieder hier vertreten sind. Durch die familiären Verbindungen untereinander und ein gemeinsames künstlerisches Konzept, das sich auf das Erbe der Fluxusbewegung, einzelnen Künstlern wie Joseph Beuys sowie europäische Modernismen und eigene, vernakuläre Prinzipien bezieht, möchten die jeweiligen Künstler_innen einen Draht zum internationalen Publikum finden. Mithilfe dieser eigenwillig-trotzigen Geste wollen sie sich unter anderem auch von Schaffenden aus Indien oder Pakistan abgrenzen und somit individuelle überkontinentale Achsen einschlagen. Dabei entdeckt Shuvo sein Interesse an der in seinem Land fremd wirkenden Ölmalerei und dem Tafelbild. In Wien schuf er mehrere Schwarzweiß-Bilder, die in seiner heftigen Ausführungsart und durch Kombination der einheimischen und fremden Zeichen- und Mustersprache geradezu den deutschen „Hunger nach Bildern“ heraufbeschwören. Zu umgekehrter Übersetzungsart im Feld des Abstrakten kommt es in der Arbeit von Nabil Rahman (*1988). Dem angeblichen Drang des Betrachters, die leeren Rasterfelder minimalistischer Bilder von Agnes Martin zu füllen, weiß der Bangladesch-Amerikaner entgegenzuwirken. Vibrierende Linienperformanz und Handschrift der Amerikanerin ersetzt der Künstler in seinem transzendierenden Goldgemälde durch einen aus den Zigaretten-Deckblätter der Marke B&H geflickten „Teppich“. Seine leicht gewölbte Oberfläche reflektiert, laut Ausstellungskuratorin Diana Campbell Betancourt die Wellblechdächer von Industriegebäuden Bangladeschs und verbindet damit assoziativ die Arbeiter von Dhaka mit den Pariser Bohemiens à la Yves Klein. Entropie und Umweltverschmutzung anstatt östlicher spiritueller Aura vermitteln dagegen die objets trouvées in Form der Luftfilter, deren Oberflächen seine Frau Ayesha Sultana (*1985), die diesjährige Gwangju Biennale Teilnehmerin, minimal bearbeitet. Von Industrieära und globalen Kapitalflüssen in einem der ärmsten Länder der Welt erzählen stimmungsvoll und melancholisch wirkende, unterschiedlich belichtete Fotografien der zum Abwracken vorgesehenen „Geisterschiffe“ im Hafen von Chittagong. Die Werke des in dieser Ausstellung ältesten Künstlers und Dichters Shumon Ahmed (*1977) verändern jedenfalls durch eine „romantische“ Unschärfe der Motive, Multiplikation und Nähe zur Abstraktion die bis zu Caspar David Friedrichs „Das Eismeer“ zurückreichenden Sehgewohnheiten zerschellter Schiffe. Damit zwingen sie die Betrachter zum differenzierten Erleben des Selbst in der Welt. Die zumindest auf den ersten Blick monochrom wirkende Ausstellung beinhaltet viele unerwartete Facetten und Schattierungen.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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curated by_Diana Campbell Betancourt - You Cannot Cross the Sea Merely by Staring at the Waves
09.09 - 15.10.2016

Krinzinger Schottenfeld
1070 Wien, Schottenfeldgasse 45
Tel: +43 1 512 81 42
Email: schottenfeld@galerie-krinzinger.at
https://www.galerie-krinzinger.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 12-18, Sa 11-14 h


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