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Die Volte

Senfgelb und die Kunst Friedrich Hagemann: Bildnis Immanuel Kant, Marmor 1801; im Hintergrund: Johann Heinrich Füssli: Die Erschaffung Evas, Öl auf Leinwand, 1793, Installationsansicht: Hamburger Kunsthalle Er blickt drein, als hätte ihn Franz Xaver Messerschmidt aus dem Stein gesägt. Immanuel Kant ist ausgemergelt, vom Denken gezeichnet, karg und müde. Der Kopf ist ein wenig zu kahl und zu geduckt, um Stolz zu vermitteln. Da ist Goethes glutäugiger Weitblick schon souveräner. Und dennoch steht der Königsberger in der Mitte. Ein Denker der Zentrumspartei. Kants Zeitgenossen sind in blütenweißem Marmor. Klassizismus verpflichtet, zumal in der Skulptur. Doch hinter den Geistesgrößen in Büstenformat rumort es. Wer genau hinblickt, erkennt eine Albtraumfantasie von Johann Heinrich Füssli. Das Dampfbad der Umnachtung kocht in der Malerei. Die Erschaffung Evas, der einzigen Frau im Saal, ist wie eine Drohung künftiger Emanzipation. Noch allerdings wird sie vom perfekten Zahnschnitt der Lichtkuppel in Zaum gehalten. Aufklärung und Romantik verhalten sich wie Kern und Schale. Die Versammlung der Kunstwerke sieht eine offene Insel vor, einen Raum im Raum. Doch warum das sandige Gelb an den Wänden? Braucht es den Kontrast zum Klassizistischen? Verleiht die Farbe einen höheren Sinn? Oder war den Architekten bewusst, dass Kant zu jeder Mahlzeit eigenhändig Senf zubereitete? Die Farben sind das bestimmende Merkmal in der Neueinrichtung der Hamburger Kunsthalle. Das Mittelalter ist in Azur, die Renaissance in Tizianrot, das Barock in bläulichem Schiefer. Weiße Innendispersion gibt es nur in der Moderne. Sehenswert die Ausstellung von Geta Brătescu, sie liegt im Trakt für Gegenwartskunst, schon früher umständlich nur durch das Tiefparterre des Tunnels zu erreichen. Das Neue ist eigentlich der Rückbau. Der Haupteingang des Museums findet sich der Binnenalster zugewandt. Das entspricht der ursprünglichen architektonischen Idee. Alfred Lichtwark, der legendäre Direktor des Hauses, hatte das Museum der Stadt zugewandt. Die Rotunde wurde zum Eingang und dieser zum Bahnhof und der urbanen Moderne hin geöffnet. Das war vor hundert Jahren. Nun wird die Zeit wieder zurück gedreht. Eine Postmoderne zieht in Hamburg ein, die sich vormodern gibt. Hubertus Gaßner, der scheidende Direktor, dem die Renovierung zu danken ist, spricht von einer “Volte”. Durch eine Drehung um die eigene Achse gelangt das Haus zu seinem Ursprungszustand. Das bringt den Vorteil, dass die historische Prunkstiege wieder zum Entrée wird, aber den Nachteil, dass - wer das 20. Jahrhundert sehen will - nicht nur in den Keller, sondern auch noch kehrt machen muss. Gerhard Merz: ITALIA MCMLXXVI, Installationsansicht Galerie Susanna Kulli, Zürich 1986, © Bildrecht, Wien 2016 “Dove sta memoria” (“Wo ist Erinnerung”) hieß eine Ausstellung von Gerhard Merz. Der Münchner Künstler ließ die Kunsthalle Baden Baden bedeutungsgeladen in Carput Mortuum und kristallinem Ocker färbeln. Klassizistische Würde wurde mit morbider Erhabenheit gefüllt, nicht ohne mit faschistischer Ästhetik zu kokettieren. Das war 1986, den Heydays der Postmoderne. Das Ocker von damals ist das Curry von heute. Merz wusste um die Bedeutung farbiger Wände. Er betrachtete sie als Kunstmittel, ebenso wie Sockel und klassische Prägung. Farbe war Hinweis für ein Denken, das Geschichte und Gedenken thematisiert. In der Hamburger Kunsthalle ist von dieser Subtilität nichts zu spüren. Die Probleme der Geschichte verdeckt eine Farbe, die Blickfänger ist und Dekor. Schade. “Dove sta memoria di modernitá” müsste man hier fragen. Die Erinnerung an die Moderne ist einer Anpassung an Geschmacksvorstellungen von heute gewichen. Die Hamburger Kunsthalle bleibt dennoch eines meiner liebsten Museen.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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