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Stellung nehmen: Haltungen ohne Haltung?

Unter dem programmatischen Titel „Stellung nehmen“ zeigt die Kestnergesellschaft Hannover jetzt Werke von 8 internationalen Künstlern, die den Betrachter „explizit dazu auffordern, selbst Stellung zu beziehen“ (Pressetext). Leider wird die Ausstellung dem Titel kaum gerecht. Da ist etwa die Installation „Der Drehung entgegen“, 1986, von Franz Erhard Walther, bei der der Besucher Stellung beziehen kann im Sinne von „körperliche Haltung“ einnehmen, besteht diese Arbeit doch aus Walthers bekannten geometrischen Objekten aus rotem Stoff, die dazu einladen, das Werk durch die eigene Anwesenheit zu vollenden. Stellung beziehen kann man in dieser Ausstellung vergleichsweise aggressiv und ebenfalls durch eine körperliche Aktion angesichts von Ahmet Ögüts Bild „Punch this Painting“, 2010, nämlich dann, wenn man der im Titel formulierten Aufforderung ganz konkret nachkommt. Eine finanzielle Entscheidung dagegen erfordert Ögüts interaktive Skulptur „Anti-Debth Monolith“, 2014, denn diese schwarze Box ruft dazu auf, zwei Euro zu spenden, damit amerikanischen Studenten geholfen werden kann ihre Schulden zu bezahlen. Mentale Formen der Haltung erfordert z. B. Christians Philipps Müllers Wandarbeit „It’s not just a matter of black and white“, 2016, in der an die Wand geschriebene Sätze wie „Zukunft sein“ oder „Es ist wichtig, das man Mut hat“ mögliche Qualitäten der Kestnergesellschaft andeuten, die dann von den Besuchern beurteilt werden sollen. Dazu liegen kleine Filzplättchen aus, die den jeweiligen Sentenzen zugeordnet werden können, indem man diese Plättchen neben sie klebt. Die Vielfalt der möglichen Arten von Stellungnahme ist die Qualität dieser Ausstellung, ihr Problem ist ihre fast schon apolitische Haltung. Zwar behauptet die Kestnergesellschaft selbst, die Ausstellung sei vor dem Hintergrund zu verstehen, dass das Ausstellungshaus im “Dritten Reich“ zu ihrem jüdischen Direktor gestanden habe, doch die hier ausgewählten Exponate erfordern vergleichsweise Softversionen von Haltung. Dieses trifft auch noch auf die wohl politischste Arbeit der Show zu, nämlich auf Marlene Dumas Porträtserie „Great Men“, 2014, die schwule Männer wie Francis Bacon oder Michel Foucault zeigt. Die Arbeit ist entstanden angesichts der russischen Gesetze gegen Homosexualität und macht da durchaus Sinn machte, im Kontext der Kunstszene hierzulande allerdings ist es doch ein arg politisch korrektes und unverfängliches Statement. Schlimmer noch: In „Stellung nehmen“ wird auch Joseph Beuys Arbeit „Ja Ja Ja Ne Ne Ne“, 1968, gezeigt, bei der die im Titel benannten Worte in stoischer Wiederholung ausgesprochen werden. Dieses Hörstück betont die Ambivalenz menschlichen Urteilens und negiert so fast schon die Möglichkeit von Stellung nehmen.
Mehr Texte von Raimar Stange

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Stellung nehmen
28.05 - 21.08.2016

Kestner Gesellschaft
30159 Hannover, Goseriede 11
Tel: +49 511 70120 10
Email: kestner@kestnergesellschaft.de
https://kestnergesellschaft.de
Öffnungszeiten: Di-So 11-18, Do 10-20 h


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