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Erich Lessing: The Pulse of Time—Capturing Social Change in Post-war Europe: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Erich Lessing in Hong Kong

Nicht oft geschieht es, dass eine Ausstellung mit historischen Fotografien eindrücklicher wirkt als diese. Mit einer gelungenen Auswahl an Fotografien des Wiener Fotografen Erich Lessing, die den Bogen vom Österreich der Nachkriegsjahre bis hin zu den Siebzigern schlägt, wird nicht nur die Zeitzeugenschaft dieses wichtigen Chronisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar gemacht, sondern auch sein meisterlicher Umgang mit Licht und Schatten, Menschen und Momenten. Magnum-Fotograf Lessing, der nach seiner Emigration 1947 aus Israel wieder in seine Heimatstadt Wien zurückkehrte, prägte mit seinen Fotografien nicht nur das Erscheinungsbild von Zeitschriften wie LIFE, Paris Match, sondern war als Set-Fotograf auch für Kinofilme wie Moby Dick oder Alexis Sorbas im Einsatz. In den zur Hong Kong University Museum and Art Gallery gehörenden Sälen des T T Tsui Gebäudes präsentieren sich sieben Themenbereiche, die neben Porträts von Politikern und bildender, musischer und darstellender Künstler ein umfangreiches Konvolut mit Fotos zu Nachkriegszeit in West- und Osteuropa enthält. Als hervorragender Beobachter mit einem feinen Timing für den richtigen Moment ist es Lessing immer wieder gelungen, das Humane in den Konterfeis seiner Mitmenschen abzulichten. Ob Nikita Chruschtschow verschmitzt mit der Zunge schnalzt oder Dwight D. Eisenhower das sonnige Bad in der Menge geniesst, stets wirken die abgelichteten Volksvertreter volksnah. Selbiges Timing findet sich auch in der Konfrontation Jean-Paul Sartres, der dem avantgardistischen Theatermacher Erich Neuberg verbot, während der Wiener Friedenskonferenz 1953 sein Drama 'Die schmutzigen Hände' aufzuführen. Lessings Fotografien blicken tief und decken so einiges auf. So steht der inneren Ruhe Fritz Wotrubas im Umgang mit Hammer und Meissel die augenscheinliche Fadesse des Aktmodells der kreativen Anspannung Georg Eislers gegenüber. Und angesichts der konzentrierten Ruhe eines Oskar Kokoschka oder Glenn Gould scheint der Fotograf schlichtwegs einfach nicht existent zu sein. Diese Fähigkeit im richtigen Moment unsichtbar zu sein und seinen Protagonisten den ihnen notwendigen Raum zur eigenen Entfaltung zu geben, zeigt sich ebenso in einer Serie von Fotografien, die den Alltag der Nachkriegsjahre ablichten. Dort gibt es viel vom Aufbau, von der Hoffnung und von der Wiederkehr zur Normalität aber auch von alten Ritualen und Mythen zu entdecken. Seifenkistenrennen unter Aufsicht der Militärpolizei stehen gleichwertig neben dem Spektakel der Wiener Hausmusik oder dem herausfordernden Blick des altersmüden Wiener Dienstmanns. Der stolze Gleichschritt der Nationalen Volksarmee der DDR wird kontrastiert vom Bild der drei nach Westberlin fliehenden Frauen und ihren bepackten Kinderwagen im schnittigen 1950er Design. Eindrücklich auch die junge Frau am Wannsee. Vor sich mehrere westdeutsche Illustierte, Kaffee, Kuchen mit Schlagobers, hinter sich ein simpler Zaun aus Schilf mit dem Hinweis auf die sich dahinter befindende russische Zone. Es sind diese feinen subtilen Anspielungen, die Lessings Werk so reichhaltig machen. Wie gekonnt seine Kompositionen sind, zeigt sich in der Aufnahme einer sich im Schnee mühsam fort bewegenden gebückten Frau, die auf einem Handkarren mit kleinen Rädern drei schwere Säcke hinter sich durch den Schnee zieht. Der tief liegende Schwerpunkt der Aufnahme spiegelt eindrücklich die Mühsale des Alltags wieder. Das Foto entstand im Dezember 1956 in Budapest. Der kurze Geschmack von Freiheit, den wenige Wochen vorher die ungarische Revolution mit sich brachte, wurde brutal niedergeschlagen und ist dem Kampf ums tägliche Überleben gewichen. Auch am Bild einer die Strasse entlangschreitenden alten Frau wird Lessings Können für Kompositionen, mehr aber noch für Licht und Schatten sichtbar. Unter einem bleiernen Himmel das Dorf hinter sich lassend, bewegt diese sich schwarz gekleidet und von der Last ihrer Entscheidung gebückt ganz am linken Bildrand auf den Betrachter zu. Weder sieht sie den Fotografen noch das, was auf sie zukommt. Diese Serie der Flüchtlinge Lessings bewegt und ist in diesen Tagen zeitloser denn je. Die Ausstellung, die nun erstmals einen kleinen Ausschnitt des umfangreichen Werkes von Erich Lessing in Hong Kong zeigt, ist der Kooperation zwischen Claudia Reinprecht und Florian Knothe zu verdanken. Dass diese Kooperation zwischen dem Österreichischen Generalkonsulat und dem Hong Kong University Museum and Art Gallery eine überaus fruchtbare ist, haben schon die gemeinsamen Ausstellungen 'Desiring the Real' (2015) und 'Refuse the Shadows of the Past: 5 Years Austria Art Made in China' (2014) gezeigt. Für 2017 ist nun eine Ausstellung zum Werk Robert Lettners geplant.
Mehr Texte von Harald Krämer

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Erich Lessing: The Pulse of Time—Capturing Social Change in Post-war Europe
27.11.2015 - 14.02.2016

Hong Kong University Museum and Art Gallery
Hong Kong, 90 Bonham Road, Pokfulam
Tel: (852) 2241 5500
http://www.hkumag.hku.hk


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