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Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici: Köstlich exaltiert und sublimiert in die Endzeit

Was sind das für Menschen gewesen, mag man sich fragen. So cool, so fern von allem Weltlichen schauen sie aus den Holztafeln, als wäre ihre Wohnstatt einer der "Kalten Sterne", die von den Einstürzenden Neubauten aus der Ich-Perspektive heraus in eine Dimension der Absenz gehoben wurden, deren apokalyptische Ausdehnung genau in das Wirkfeld passt, welches die Augenblicke dieser Porträtierten von Pontormo und Bronzino zu vermessen scheinen. "Nach uns kommt nichts mehr", heißt es in dieser Finallyrik von 1981. Man könnte auch sagen, dass wir von Cosimo I. de'Medici, Eleonora di Toledo der Dame in Rot gelassen verschmäht werden. Nein, es ist ein wenig überirdisch, engelhaft, dieses Gefühl, wenn man die "Maniera" im Frankfurter Städel verlassen hat. Es gibt Ausstellungen, denen man niemals den Rücken zuwenden möchte, in die man sich am liebsten einsperren ließe, abends, wenn das Museum abgedunkelt und verschlossen wird. Da ereilt einen schon die Wehmut, wenn man nur daran denkt, wie endlich solch ein Gastspiel ist. Eins von diesen, doch sehr seltenen Momenten des großen Fühlens nach erstauntem Sehen kann einen in Frankfurt im Städel Museum ereilen. "Maniera" heißt das Projekt (bis 05. Juni 2016, Kat. 39,90 Euro), und es beschäftigt sich mit dem "letzten, ganz großen Unterkapitel der Makro-Epoche Renaissance", wie es Bastian Eclercy, Kurator der Schau, beschreibt, dem Manierismus. Selbst wenn Zahlen keine Aussage über Güte der einzelnen Werke erlauben, stehen sie doch beredt für den Rang des Hauses am Schaumainkai und belegen dessen global überragenden Ruf. Rund 130 Arbeiten sind es in Gänze. Darunter ganze 120 Leihgaben aus mehr als 50 Museen sowie Privatsammlungen, etwa aus dem Bestand des berühmten Schweizer Galeristen Bruno Bischofberger, der die "Pietà Altoviti", eine knapp zwei Meter hohe Tafel aus Männedorf-Zürich an den Main schickte. Der numerischen Superlative nicht genug, berichtete Eclercy davon, dass "20 Werke überhaupt zum ersten Mal die Stadtgrenzen von Florenz überschritten haben." Und das ist das Stichwort. Denn es wird hier nicht ein epochaler Überblick angeboten, wie ihn das Hamburger Bucerius Kunstforum im November 2008 eröffnete. Hier steht die Stadt der Medici am Arno, das "Athen der Renaissance" im Zentrum der Aufmerksamkeit. Indirekt dokumentieren die Bilder daher zudem das Ende der Republik und der Herrschaft der Medici und den Untergang der lokalen Vormachtstellung in Kunstfragen. Der Manierismus hat es den Kunsthistorikern nie leicht gemacht. Selbst heute lassen sich nur wenige Lehrbuchmerkmale definieren, und die Frage stellt sich sowieso, wie viel Sinn das macht. Er ist jedenfalls ein gesamteuropäisches Stilphänomen, vielleicht das erste flächendeckende schlechterdings, in dem sowohl im nördlich als auch südlich der Alpen beispielsweise die „Figura Serpentinata“, also der verdrehte Schlangenleib, der menschliche Körper in Torsionen und diverse andere Erscheinungen etwa in der Bildhauerei auf den Plan treten. Davon allerdings sieht man in Frankfurt gar nicht so viel. Keine Bronze des phänomenalen, höchst berühmten und ehrenderweise oft kopierten „Raubes der Sabinerinnen“ von Giambologna (1519-1608). Dafür aber, nicht minder zauberhaft, eine 39 Zentimeter hohe Terrakotta, die Personifizierungen zeigt: „Florenz triumphiert über Pisa“ (Victoria & Albert Museum, London, 1565). Oder eine kleinere Fassung des berühmten „Perseus“ von Benvenuto Cellini (1500-1571) aus dem Jahr 1546 (Florenz, Nationalmuseum Bargello). Der überschlanke Perseus hält im Bewusstsein seiner List und intellektuellen Überlegenheit selbstbewusst und triumphierend den schlangenhaarigen Kopf der Medusa in die Höhe. In der Ausstellung überwiegt jedoch die Malerei und Grafik bei weitem. Überaus selten, und sicher eines der Stücke, die noch nie andernorts waren, ist etwa das Buch „Delle rime des Bronzino pittore“, mit Gedichten die Agnolo Bronzino (1503-1572) vor 1566 verfasst hat. Es ist eine Handschrift aus der Nationalbibliothek in Florenz, und man hätte sich die Übertragung der aufgeschlagenen Seite gewünscht. Das unternimmt das Ausstellungsteam beim nicht minder exotischen Tagebuch von Jacopo Pontormo (1494-1557) aus dem Jahr 1554-56. Man liest hier Bodenständiges übers Essen, aber auch von seinen Magenschmerzen und dem schlechten Wetter. Aufschlussreich ist, wie lange er an bestimmten Partien eines Kunstwerks arbeitete. Diese beiden Namen bezeichnen die prominentesten Vertreter in der Ausstellung. Ganze 38 Arbeiten stammen von Pontormo, darunter wunderbare Zeichnungen mit roter Kreide, wie die Studie für „Venus und Amor“ (ca. 1515). Vom Kollegen Bronzino zeigt die Schau 25 Werke. Im Zentrum stehen, wie könnte es anders sein, die Porträts. Ob „Eleonora die Toledo“ (1539-43) aus Prag (Nationalgalerie) oder das Berliner Pendant von 1555/56 oder 1560: Die 1522 in Spanien geborene Ehefrau von Cosimo I. de’Medici, die offenbar mit ihrer spanischen Kleidung ihre Zurückweisung in Florenz quittierte, schaut so kühl und nobel wie alle Porträtierten hier. Ob der pausbäckige Garzia de’Medici: Überreich verzierte Gewebe tragen diese Figuren und bezeugen den Sinn für Eleganz der Zeit. Und dann sind da Kleinode, etwa die „Anbetung der Hirten“, ein Nachtstück, das in Budapest, im Szépmüvészeti Múzeum, zuhause ist. Die knapp 66 mal 47 Zentimeter große Holztafel besticht durch den silbernen Farbklang, der vom hellstrahlenden Mond am Himmel ausgehend, die Szenerie vor dem Stall magisch beleuchtet. Es ist, als sei es nur um diesen silbrig-blauen Farbklang gegangen. Übrigens ist die Ausstellung mit ihren gedämpften Farben dramaturgisch gelungen inszeniert. Bereits der Auftakt brilliert. Man läuft auf Pontormos „Bildnis eines Goldschmieds“ (1518, Louvre) zu und wundert sich bereits über die Handgeste. Schaut man sich direkt nach dem Eintreten um, bemerkt man die beiden flankierenden Zeichnungen in roter Kreide. Doppelseitig bearbeitet und von beiden Seiten zu betrachten, rahmen sie den Durchgang wie bildhübsche Wände. Und auch hier sind es die Hände, die zu zeigen scheinen. Nur, wohin und auf was? Ist es das Zeigen selbst, um das es geht? Und dann, in einem Bild aus dem Städel selbst, sieht man das Christuskind wie es freudestrahlend lächelt, als wolle es Johannes andeuten, in solch prominenter Nachbarschaft doch gefälligst glücklich zu sein. Rosso Fiorentino (1494-1540) malte die „Madonna, mit dem Kind und dem Johannesknaben“ um 1515. Das sind die frühen Jahre des 16. Jahrhunderts, und peu a peu erschließen sich die individuellen Positionen, denn das ist es, was am Ende bleibt: Man kann sich einfach nicht auf ewig gültige, kategoriale Begriffe festlegen. Jeder Maler malt und probiert. Ob exzentrisch oder elegant, ob an Michelangelo erprobt oder frei erfindend, ob grotesk oder cool: Es sind die malenden Individuen, die sich hier im untergehenden Reich der Florentiner Großkaufleute eher selbst, denn den Porträtierten ein Denkmal gesetzt haben. Und auch das spiegelt die Schau: dass nämlich die Bilder im Bewusstsein ihrer Kunsthaftigkeit gemalt worden sind. Ach wäre man doch geblieben. Nach denen, die die Wiedergeburt so künstlich erhoben haben, kommt nichts Vergleichbares mehr. Sie sind Kalte Sterne. Und wir dürfen sehen, wie sie funkeln.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici
24.02 - 05.06.2016

Städel Museum
60596 Frankfurt am Main, Dürerstraße 2
Tel: +49 69 605098-0, Fax: +49 69 605098-111
Email: info@staedelmuseum.de
www.staedelmuseum.de
Öffnungszeiten: Di, Fr - So 10.00 - 18.00, Mi, Do 10.00 - 21.00


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