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The endless parcours

Festival der Kunst in Timişoara und Arad Mit einem sensationellen Kunstfestival, mit über 15 Ausstellungen sowohl im Museumsformat, wie auch im adaptierten Timco-Fabrikgebäude, in einem architektonisch skelettierten Kasernenbau der Monarchiezeit, in Galerien und autonomen Kunsträumen hat die Banat-Stadt Temeswar in Partnerschaft mit dem nahe gelegenen Arad nun vier Wochen lang den bisher umfangreichsten Parcours zeitgenössischer Kunst Rumäniens in Szene gesetzt. Von den 100 beteiligten KünstlerInnen hielten legendäre Figuren wie Mircea Cantor, Adrian Ghenie oder Dan Perjovschi Lectures und Workshops ab. Hinzu kamen Vorträge von Vertretern bedeutender Institutionen wie der Tate Modern London, des Centre Pompidou oder des New Yorker MoMA. Kurz gesagt: eine Maschine der Mobilisierung. Während nebenan, im völkisch rechtsnationalen Ungarn, KünstlerInnen im Rahmen autonomer Initiativen wie der »Off-Biennale Budapest« gegen die Marginalisierung ankämpfen, bewirkt die stetige Dynamisierung der Szenen in Rumänien – vor allem durch Stiftungen, mit Unterstützung westlicher Sponsoren und nicht zuletzt privatwirtschaftliches Engagement – eine nachhaltige Steigerung von Dialog und Diskurs auf hohem Niveau. Seit Anfang der 2000er Jahre stehen hier die Kunst- und Universitäts-Städte Bukarest und Cluj-Napoca in produktiver Konkurrenz zueinander. Timişoara wiederum, dessen Stadtraum gerade mit Hilfe von EU-Geldern erneuert wird, möchte 2021 als Europäische Kulturhauptstadt auftreten und sich demnächst im landesinternen Verfahren gegenüber Cluj durchsetzen. Einer der zentralen Proponenten dieses Vorhabens und Vorsitzender des dafür gegründeten Vereins ist der ebenda geborene vormalige Wiener Staatsoperndirektor Ioan Holender. Nicht Besseres hätte da kommen können als »art encounters«, um die Potenziale der Stadt hervor zu streichen. Die intendierte Begeisterung der lokalen Bevölkerung für aktuelle Kunst jedenfalls ist nicht ausgeblieben. Schon nach 14 Tagen, Mitte Oktober, hat sich das abgezeichnet, als die Medien 10 000 BesucherInnen und massenweise Facebook-Fans vermeldet hatten. Letztlich kamen noch weitere 5 000. Ebenso viele Kinder haben an einem eigens ausgearbeiteten Vermittlungsprogramm teilgenommen. Ein beachtlicher Zuspruch, bedenkt man, dass die 319 000 Einwohner-Stadt der Größe nach mit Graz vergleichbar wäre, keineswegs aber durch eine derart lange Geschichte der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst geprägt ist. Verfehlt wäre es natürlich, mit Quoten zu protzen. Aber die Aufmerksamkeit auf konzeptuelle Kunst zu lenken, bedeutet eben auch, eine Sphäre der Alterität, kritischen Abstand zum Tagtäglichen herzustellen. Da lassen sich Zahlen schon als Zeichen für Interesse anführen. Bestandsaufnahme brüchiger Entwicklungslinien Dabei ist zu betonen, dass die als Start für eine künftige Biennale gedachten Kunst-Begegnungen hauptsächlich Positionen brachten, die im Erfahrungsfeld einer rumänischen Identität liegen. Der thrill des exotisch-Internationalen als Publikumsmagnet wurde nicht geboten. Keineswegs lief das auf eine konventionelle, nationale Kunstschau hinaus. Vielmehr war es der schlüssige Versuch einer Bestandsaufnahme der in die Gegenwart führenden Entwicklungslinien zwischen Underground und Verfolgung, Dissidenz und politisch bedingter Diaspora vor dem Hintergrund von Repression und gesellschaftlichen Umbrüchen. Dem kommunistischen Regime des zunächst populären und 1989 hingerichteten Diktators Nicolae Ceauşescu ging in der Zwischenkriegszeit eine konstitutionelle Monarchie auf tönernen Füßen voran. Sie wurde von dem mit Hitlerdeutschland verbündeten Ion Antonescu und der antisemitischen Eisernen Garde abgelöst. Unter dem Strich blieb im 20. Jahrhundert nur eine kurze Phase kulturellen Lebens in einer demokratischen Gesellschaft. Heute ältere KünstlerInnen wie Geta Brătescu oder der Schriftsteller Okar Pastior erlebten zwei Diktaturen hintereinander. Selbst heute als EU-Mitgliedsland ist Rumänien tiefgreifenden Erschütterungen ausgesetzt. Am Mittwoch, den 4. November ist der sozialdemokratische Ministerpräsident Victor Ponta nach Straßenprotesten zurückgetreten. Auslöser war der verheerende Brand im Bukarester Club "Colectiv", der 27 Todesopfer zur Folge hatte. 25 000 Protestierende klagten die Regierung an, den Brand durch die Duldung von Korruption und Misswirtschaft mitverschuldet zu haben, hieß in den Meldungen sofort danach. Schon seit längerem musste sich der damals noch amtierende Regierungschef wegen Fälschung, Steuerbetrugs und Geldwäsche während seiner Zeit als Anwalt vor Gericht verantworten. Trotzdem kann die Stärkung der Strukturen für zeitgenössische Kunst im Land der Nabucco-Pipeline und können nicht einmal westliche Großausstellungen wie »Mapping Bukarest« im MAK, Messe-Schwerpunkte oder gar Projekte wie »Der Brancusi Effekt« in der Kunsthalle Wien nicht über die schwelenden Konfliktzonen vor Ort hinwegtäuschen. Sie prägen Galerienlandschaft, staatliche Institutionen und autonome Kunsträume wie die Bruchlinien im Straßenbild von Bukarest. Dass Nicolaus Schafhausen wegen massiver Einmischungen der Veranstalter 2014 sich als Kurator der »Bucharest Biennale« zurückzog, ist nur ein sichtbares Indiz für diese vielen Grabenkämpfe um Haltungen und Strategien. Projekt der Kunstdiplomatie Viele Strophen könnte man dem Lied hinzufügen. Umso höher jedenfalls ist der kuratorischen Leitung des »art encounters« Events Natalie Hoyos und Rainald Schuhmacher die Umsetzung eines von offensichtlicher Kunstdiplomatie getragenen und integrativ aufgebauten Konzepts anzurechnen. Es versuchte, die Entwicklungen rumänischer Kunst seit den 1960er Jahren als diversifizierte Geographie zu erfassen, ohne in die Falle des Historischen zu tappen. Aus der Periode des Kommunismus brachte es jene KünstlerInnen, die – als formalistisch verachtet – zumeist isoliert in ihren Wohnungen arbeiteten, wie Geta Brătescu und Ion Grigorescu, oder ins Exil gingen wie André Cadere, Mihai Olos und Paul Neagu. Zeitlich folgten Vertreter aus der Phase gesellschaftlicher Transformation in den 1990er Jahren wie Dan Perjovschi oder die aktionistische Gruppe SubReal. In Richtung Gegenwart öffnete sich das Projekt schließlich mit Persönlichkeiten wie der 2011 in New York jung verstorbenen Ioana Nemes, mit dem in Paris lebenden Mircea Cantor oder dem aus Cluj kommenden Ciprian Muresan, der in Berlin eine Filiale seiner Galerie Plan B betreibt. Das zeigt, in welche Verzweigungen der facettenreiche Begriff einer rumänischen Kunst führt, die sich bis in die 1970er Jahre zurück als konzeptuell umschreiben lässt und teils durch linguistische Bezüge wie bei Muresan oder Konstantin Flondor charakterisiert ist. Umgekehrt bezog die Constantin Brancusi Hommage »Sequential Strings« im Museum of Art internationale KünstlerInnen wie Saadane Afif, Rosa Barba oder Sophia Hultén ein. Je näher das Unternehmen jedoch an die Gegenwart heranrückte, umso mehr schien es als wäre der Kunst ihre Spitzen und Rauhheiten genommen. Wenig war vom Projektcharakter, von der Haltung der Verweigerung, der Analyse des Sozialen, die auch ein Teil der Kunst, speziell in der jüngeren Szene Rumäniens ist, wahrzunehmen. Auch der Anteil der Medienarbeiten war gering. Stattdessen gab es im ehemaligen k. u. k. Kasernengebäude Cazarma U, das bis auf die Gemäuer komplett ausgehöhlt ist, einen Mix an Ausstellungen rumänischer Galerien zu sehen. Um den Charakter eines Kunstfestivals zu steigern, und den um den rumänischer Galerien Sichtbarkeit zu verschaffen, ist dieser Schritt nachvollziehbar. Hier aber zerflatterten die »art encounters«. Zwar standen die meisten Präsentationen unter einem Thema und waren kuratiert. Nach drei oder vier dieser Einzelausstellungen noch einen Überblick zu behalten, gelang jedoch kaum. Insgesamt jedenfalls für BesucherInnen von außen ein schwindelerregendes Angebot, für das Publikum vor Ort die großartige Möglichkeit, bei freiem Eintritt sich mit Teilen einer bis heute sehr segmentiert wahrgenommene Geschichte der Kunst von europäischer Relevanz, die teils unter existentiell und politisch schwierigsten Bedingungen entstand als Netzwerk im Detail auseinander zu setzen. Offene Vermittlungspotentiale Allein diese Gelegenheit war toll. Allerdings war es gar nicht so einfach, die innere Kartografie einzelner Ausstellungsteile zu entschlüsseln. Die große Geta Brătescu etwa im hauptsächlich der Gegewart gewidmeten Teil mit einem »K from Kafka« Zyklus aus dem Jahr 1975, aber auch an anderen Orten zu begegnen machte Sinn, dort dann Tara von Neudorf zu entdecken, der in wüsten Collagen, die beidseitig gearbeitet sind und direkt von der Decke hängen Narrative von Geschichte und absurden Scheitern formal wie in amerikanischen Undergroundcomic thematisiert, das war hochspannend. Dann aber vor dem – ebenfalls konzeptuell und visuell ansprechenden – in schwarz, grau, weiß formal aufgebautem, geometrischen Werk eines erst 28 jährigen Maxim Liulca zu stehen, ja, solche Situationen waren ebenfalls Entdeckungen, aber zugleich ärgerlich, weil einem keine weiteren Informationen in die Hand gegeben wurden. Speziell in der Timco-Kunsthalle, und gerade in den Eröffnungstagen, wurde das Potential, eine teils hochinteressante Ausstellung im Rahmen der »art encounters« wirklich zu einer Begegnung zu machen, verschenkt. Wenn schon ein eigenes Vermittlungsprogramm für Schulen konzipiert wurde, wenn schon Sponsoren wie die RaiffeisenBANK sich überall mit ihren Zelten ausbreiten und sogar im Museumfoyer Werbegespräche für Sparbucheröffnungen anfangen, dann hätten auch die Mittel für einen kleinen Kurzführer da sein müssen. Ja, das wäre noch mehr Arbeit gewesen und hätte noch mehr Infrastruktur bedeutet. Aber es fehlte einfach, obwohl auf der »art encounters« Website schon einiges an textlicher Vorarbeit geleistet war. Aufarbeitung der Konzept- und Performance-Gruppe Sigma Nicht nur deshalb war die von Alina Serban kuratierte und sorgfältig ausgearbeitete Ausstellung über die experimentell forschende Sigma Gruppe »Cartography of Learning 1969–1983« im Business Center ein Highlight. Zusammen gefasst könnte man deren Arbeiten als strukturalistisch, teils auf mathematischen Verfahren orientierend beschreiben. Sie sind ein wichtiges Moment in der europäischen Avant Garde. In performativen Interventionen setzten sich Sigma außerdem mit Architektur und Landschaft auseinander. Unter anderem war diese tendenziell freie und an internationale Entwicklungen angedockte Arbeit fernab von offiziellen staatlichen Doktrinen möglich gewesen, weil die Sigma Künstler zur Zeit des Ceauşescu-Regimes Positionen als Professoren an der Universität von Timişoara hatten. Werke einzelner Vertreter – wie auf Algorithmen basierende Zeichnungen von Constantin Flondor – fanden sich auch in anderen Teilen der »art encounters« wie im Kunstmuseum. So gab es von dem ebenfalls mehrfach vertretenen Ion Grigorescu, der für seine Performances und Konzept-Arbeiten international bekannt ist, in der Pygmalion Gallery neue malerische Werke mit – fast überraschend – religiösen Themen. Gleich gegenüber, von der Straße aus einsichtig, die großartige Videoinstallation »Lament« der in Berlin lebenden Anca Munteanu Rimnic, wo in der engen Raumsituation von Blöcken alter Bücher umgeben, schwarz gekleidete Frauen sangen: Ernst wirkt es, ein altes Lied hätte es sein können, doch letztlich: »artist – curator – collector«. Kennen lernen konnte man so auch die Räume und Knotenpunkte kultureller Produktion in Timişoara wie das Balamuc, einen Kunstraum für Comic, Cartoons und Zeichnung mit Bibliothek und breitem Angebot an Dokumentationen wo Dan Perjovschi seine »Zines« nicht nur präsentierte, sondern einen überlaufenen Fanzine-Workshop abhielt. Bleibt ein Ortswechsel nach Arad mit einem weiteren Höhepunkt:»Wunderkammer 2: Apparatus« im Rahmen einer Kooperation mit dem »R.E.M.X -- Rapid Eye Movement« Medienfestival. Im Kunstmuseum, das im Inneren wie ein Spital in einem Hitchcock-Film wirkt. Hier begegnete man einer geisterhaften Welt aus einer vergangenen Zukunft mit frühen Bildprojektionsmaschinen und Apparaten der Bewegungsillusion. Eingeladen von Kurator George Săbău inszenierte die Gruppe kinema ikon – die bereits 1970, zu Beginn der Epoche der Neuen Medien mit Experimentalfilmen begonnen hat – die Wiederauferstehung der Versuche, bewegte Bilder auf technischem Weg zu generieren; und zwar in einem medienarchäologischen Mix aus Geräten wie Schlitztrommeln oder Thaumatrop-Scheiben mit Filmprojektoren, Digitaltechnologe und aktueller theoretischer Literatur. Dagegen kam eine offenbar nur wenig betreute, aber mit Engagement aufgebaute Ausstellung junger MedienkünstlerInnen in einem freien Segment eines Einkaufscenters natürlich kaum an. Gelungen ist angedockten Medienfestival aber immerhin, was das zentrale »art encounters« Festival nicht mehr geschafft hat; nämlich ein kleines Katalogheft. Auf dem Weg zur Biennale Für die Zukunft stehen also bedeutende Aufgaben auf der Agenda, sofern die Vision der Fortsetzung des Projekts und Realisierung einer Biennale – unabhängig von der Kulturhauptstadtbewerbung – ernst gemeint ist. Das heißt wesentlich mehr als Vermittlung per Publikation und Intensivierung der theoretischen Aufarbeitung. Politisch beinhaltet es formalisierte Schritte zur Implementierung; eine Aufgabe der Stadtregierung unter dem Nationalliberalen Bürgermeister Nicolae Robu. Dessen Partei, die Partidul National Liberal – aktuell die zweitstärkste Kraft in Rumänien – ist liberal orientiert und innerhalb der EU auch mit den Liberalen vernetzt; nicht also mit Jean Marie Le Pens Rechtsblock. Aus finanziellen Gründen dürfte die Fortsetzung und Kontinuität der kulturell und demokratiepolitisch wichtigen Veranstaltung am Initiator und Gründer der »art encounters foundation« Ovidiu şandor liegen. Der international extrem gut vernetzte und angesehene Kunstsammler, der auch Mitglied des Art Acquisitions Committee der Londoner Tate Modern ist, kommt nicht nur im FORBES Magazin in den vorderen Rängen vor, sondern ist auch einer der gewichtigsten Immobilien und Office-Building Entwickler zusammen mit dem Investment Fond NEPI in Cluj und Timişoara. Die kolportierten Kosten der »art encounters« für 2015 von lediglich € 200 000.- plus Sachspenden und Volontäre – was sich, selbst auf rumänische Verhältnisse umgerechnet, in einem moderaten Rahmen bewegt – legen die Annahme nahe, dass für eine künftig internationale Ausrichtung dieser projektierten Biennale noch einiges an Investitions-Spielraum da sein sollte. Den Kuratoren würde dann die Aufgabe zukommen, über das Moment der nun erfolgten »ersten Begegnung« hinaus, mehr Konturen zu zeichnen, um die aktuell erst vage skizzierten Flächen für kritischen Diskurs und öffentliche Debatte zu erweitern. -- ART ENCOUNTERS – TIMISOARA | ARAD 3. – 31. OKTOBER 2015 www.artencounters.ro Art Encounters Foundation City Business Centre, building A Coriolan Brediceanu 10 300 011 Timişoara România +40-256 491 042
Mehr Texte von Roland Schöny

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