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ARTig, ARTig, ARTig

Wieder einmal hat der Steirische Herbst in Graz seine Pforten geöffnet. So (bildungsbürgerlich) brav hat man die Bildende Kunst in diesem mehrsparten Festival wohl selten erlebt. Da zudem die zentrale Ausstellung jedes Jahr kleiner zu werden scheint, ist zu befürchten, dass sich die bildende Kunst im Steirischen Herbst langsam selbst abschafft. Am Abend der Eröffnung des diesjährigen Steirischen Herbstes spielte im Grazer Kunsthaus die Rockband „Buben im Pelz“. Die erste LP von „Velvet Underground“ - die „mit der Banane“ - hat die österreichische Allstar-Band gecovert, mit deutschen Texten, und brachte sie jetzt live zu Gehör: Perfekt gespielt, charmant gesungen, nicht zu laut, nicht zu dark – konsequent weichgespült also wird hier das erklärte Vorbild. Warum erzähle ich das? Weil dieser Auftritt gleichsam als Blaupause gedient zu haben schien für die jetzt im Steirischen Herbst zu sehende Kunst. Auch diese nämlich setzt über weite Strecken auf solides handwerkliches Können, auf die richtigen Vorbilder und auf ästhetisch korrekte Konzepte, die ja niemandem weh tun. Diese künstlerische Strategie wird z. B. im Kunsthaus Graz auf die Spitze getrieben, wo der chinesische Künstler Xu Zhen seine Ausstellung „Corporate“ zeigt: postmoderne Kunst im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und moderner Konsumgesellschaft. Der Pressetext erklärt es bezeichnenderweise so: Xu Zhen „überblendet und kopiert kulturelle Versatzstücke mit größter handwerklicher Präzision“. Jeff Koons lässt grüßen und „Sozialkritik gerät weder offensichtlich ernst noch ironisch“. Na, da kann man getrost klug darüber herreden über diese Skulpturen, Installationen und Videos und braucht Gott sei Dank nicht einmal so tun, als ginge es hier um irgendetwas. Um etwas gehen soll es aber in der zentralen Ausstellung des „Herbstes“, nämlich in „Hall of Half-Life“ im Graz Museum, und da wird es dann besonders ärgerlich. Die Beziehung von Geschichte, Gegenwart und Zukunft mit dem Fokus auf den Klimawandel steht hier auf nur 1 1/2 Etagen angeblich kritisch zur Disposition. Stattdessen jedoch wird klug und wiederum kunstbetriebsmäßig perfekt um diesen Themenkomplex herum geredet. So geht es Gerard Byrne in seiner Diainstallation „Brightsign“, 2015, um das Werk von Wilhelm Reich, Geoffrey Farmer spekuliert in seiner Raumarbeit „When sweeping with your cosmic broom, sweep us out of your mouldy ruts“, 2015, über den Schreibbeginn eines möglichen Buches und Harun Farocki, hier das große Vorbild der Ausstellung, problematisiert in seinem Film „Übertragung (Transmission)“, 2007, den Umgang mit Monumenten und Mahnmalen. Nicht, dass all diese Arbeiten schlecht sind, ihre Zusammenstellung aber in „Hall of Half-Life“ vermag nicht mehr als einen verspielt-pseudointellektuellen Diskurs zu initiieren, der das von der Kuratorin Tessa Giblin selbst gewählte Thema geschickt entpolitisiert. Kein Zufall ist daher, dass von Global Playern und ihren Einfluss auf die globale Klimapolitik in den 23 Arbeiten of „Hall of Half-Life“ ebenso wenig die Rede ist, wie z. B. von der widerständigen Arbeit engagierter NGO’s. Artivistische Arbeiten gar sucht man hier selbstverständlich vergeblich. Wirklich politisch ruppig geht es allein in der Ausstellung „Das ist nicht meine Geschichte“ im „Verein für zeitgenössische Kunst Rotor“ zu. Dieses nicht nur weil hier dezidiert politische Themen wie der Krieg in der Ukraine, Fremdenhass oder Sexismus behandelt sind, sondern vor allem deswegen, weil dabei künstlerische Formen ausgetestet werden, die eben weder kunsthistorisch abgesegnet sind noch sich bisher als kunstmarkttauglich erwiesen haben. Ein gutes Beispiel hierfür ist Yevgenia Belorusets Installation „Die Siege der Besiegten“, 2015. Belorusets kombiniert von ihr im Kriegsgebiet der Ukraine geschossenen Fotos mit Fragmenten eines Telefongespächs mit einem Menschen, der in dieser Kampfzone lebt, seine Aussagen allerdings müssen vom Rezipienten der Arbeiten selbst ergänzt werden. Die im Raum zudem plakatierte Titelseite einer fiktiven Tageszeitung denkt so poetisch wie präzise über die absurde Normalität des Krieges nach. Ein Vorbild für die Fotos von Yevgenia Belorusets könnte Boris Mikhailov sein – symptomatisch aber ist, dass die junge ukrainische Künstlerin dessen zynischem Realismus explizit widerspricht und empathisches Mitgefühl an dessen Stelle setzt. Der Dialog mit jüngerer Kunstgeschichte wird so ein dynamischer und eben nicht ein brav-akademischer. – Alle Informationen zu den Ausstellungen unter www.steirischerherbst.at
Mehr Texte von Raimar Stange

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