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Globale: Global denken, lokal tanzen

So viel Stadt war nie, so viel Baustelle auch nicht. Karlsruhe feiert den 300. Geburtstag, das Stadtzentrum gleicht einer einzigen Baugrube und mittendrin tummeln sich die Massen, fotografieren ein Haus, das dem Anschein nach von einem Baukran dem wüsten Terrain entrissen wurde oder den geknickten Lieferwagen, der mit den Vorderrädern am Trottoir, mit den Hinterrädern jedoch an der Fassade parkt und dafür auch schon mit einem „Knöllchen“ bedacht wurde (siehe auch http://www.artmagazine.cc/content86386.html). Allabendlich trifft man sich vor dem Schloss, um den aufsehenerregenden Projektionen auf die Fassade beizuwohnen. Spektakel ist für derlei Events wohl der richtige Begriff. Peter Weibel, der die Globale, die multimedial im öffentlichen Raum der Stadt sowie im ZKM stattfindet, konzipiert hat, weiß um die Problematik von derlei Großveranstaltungen, doch weiß er auch was er der Stadt, die sein Haus mit einem Budget von 7 Mio. Euro ausstattet, schuldig ist. Und: „Um die Öffentlichkeit zu erreichen muss man Dinge tun, die seriöse Kunst sind und einen Aspekt der Erregung vermitteln“, meint er hierzu mit einer gewissen Gelassenheit, und statt des Ausdrucks „Spektakel“ verwendet er ohnedies lieber „stupende Projekte“. Und überhaupt, in diesem Falle ist die Stadt der Star. Jenseits des Stadtgeburtstages versteht sich die Globale als „Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter“. Im ZKM selbst war der Auftakt für derlei künstlerische Manifestation, als die sich die Globale sieht, ein Tribunal. Karlsruhe als Sitz des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtshofes versteht sich ja als „Residenz des Rechts“, nun führten Künstler und Wissenschaftler den „Prozess gegen die Verfehlungen des 20. Jahrhunderts“ , Weibel selbst fügte dem gleichsam als Autor die Panorama-Bildschirm-Installation „Der kälteste Planet des Universums ist das menschliche Herz“ hinzu, eine Materialsammlung an Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts. Im Subraum, dem angebauten Glaskubus am Vorplatz des ZKM verfolgt man HA Schult auf seiner Reise im E-Auto von Paris nach Peking. In 52 Tagen will der Künstler die 18.000 Kilometer bewältigen, nimmt in rund 25 Kunsthäusern auf der Strecke an Umweltdiskussionen teil und entnimmt Flüssen und Seen unterwegs Wasserproben, aus deren mikroskopischen Aufnahmen „Biokinetische Bilder“ werden. Ansonsten hat man für die beiden ersten Ausstellungen im Hause auf kleinteilige Präsentationen verzichtet und lässt die Besucher lieber eintauchen in einen raumgreifenden, begehbaren Datenhighway von Roji Ikeda und schickt sie über eine Rampe hoch zu einer Wolke, die frei durch zwei Hallen der ehemaligen Munitionsfabrik schwebt. Nicht die Natur ist es, die uns umgibt, wir umgeben die Natur, so die ernste Botschaft für die poetische Installation von Transsolar + Tetsuo Kodo. Es ist dies lediglich der Beginn eines 300 Tage währenden Programmes aus Ausstellungen, Performances Lesungen, Konferenzen, Vorträgen, Filmscreenings und Konzerten, die sich mit Globalisierung und Digitalisierung, den beiden Hauptströmungen der Gegenwart, befassen. Im Grunde, so Weibel, „ist die Globale ein Versuch, durch das Vergrößerungsglas der Wissenschaft und das Vergrößerungsglas der Kunst auf aktuell kritische Zonen hinzuweisen“. Bei der Eröffnungsveranstaltung des Stadtgeburtstages hat sich Weibel einmal mehr dann als findiger Diplomat erwiesen. Weibel, der 1968 bei der Aktion „Kunst und Revolution“ eine buchstäblich flammende Rede hielt, sagte vor den anwesenden 40.000 Gästen auf die Frage wie ihm das pompöse Spektakel des Stadtmarketing denn gefalle habe, lieber erst mal gar nix und legte stattdessen milde lächelnd ein Tänzchen hin. Frei nach Wittgenstein, „worüber man nicht sprechen kann, darüber sollte man tanzen“.
Mehr Texte von Daniela Gregori

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Globale
19.06.2015 - 17.04.2016

ZKM - Zentrum für Kunst und Medientechnologie
76135 Karlsruhe, Lorenzstraße 19
Tel: +49-721-8100-0
Email: info@zkm.de
http://www.zkm.de
Öffnungszeiten: Mi - Fr, 10-18 Uhr | Sa - So, 11-18 Uhr


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