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Aufstieg und Niedergang

In Herrenwitz-Stimmung tätschelte Johannes Brahms der ins Zimmer gerufenen Neunjährigen erst die kurzen Locken, um ihr wenig später mit der Aussage, das kräftige den Haarwuchs, eine Flasche Champagner über den Kopf zu schütten. Die demütigende Episode wirft ein Licht auf eine Familiengeschichte Buddenbrook´schen Ausmaßes: der Vater skrupelloser Stahl-Tycoon und generöser Kunstmäzen, der die acht Kinder auf Bergtouren bis zu Tränen quält, die Mutter (die den Champagner aus dem Keller holen lässt) schwach und überfordert. Zwei der Söhne werden den Ausweg im Suizid suchen. Margarethe, wie alle naturwissenschaftlich hochbegabt und versierte Kunstkennerin, in der Ehe mit Jerome Stonborough, die bald scheitert; die Söhne haben Schulprobleme und fahren mit Vorliebe Autos zu Schrott. Bleibt das Kunstsammeln und Häuser-Einrichten, am Ende gar das Bauen mit dem Loos-Schüler Paul Engelmann und dem Bruder Ludwig, der sein Leben auch nicht recht im Griff hat: Sein (platonisches) Liebesgeständnis an eine junge Schweizerin mündet im Angebot - seine Haushälterin zu werden. Das mühsam aufrecht erhaltene Familienidyll zerbricht endgültig 1938, als ein Teil des zum Protestantismus konvertierten Clans emigiert, während sich ein anderer "Ariernachweise" erkauft. Einer von Margarets pommerschen Ziehsöhnen wird gar zum wüsten Nazi. Nach dem Selbstmord des Majordomus und des Ehemanns flieht Margaret endgültig in die USA. Nach dem Krieg in das "Wittgensteinhaus" zurückgekehrt, lebt sie dort in zunehmender Einsamkeit. Dem von ihrem Sohn gewünschten Abriss entgeht das Haus nach ihrem Tod um Haaresbreite. Die spannende Lektüre der Biografie wird leider getrübt durch das nicht exitente Lektorat von Seiten des Verlags: Wer die Lebensdaten der Protagonisten auf der Familienstammtafel im Anhang nachblättert, stößt auf ein heilloses Wirrwarr ohne System teilweise fettgedruckter Namen und völlig absurder Daten. Etwas mehr Respekt wäre man Margaret schon schuldig gewesen. Ursula Prokop, Margaret Stonborough-Wittgenstein - Bauherrin Intellektuelle Mäzenin. Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2003 284 Seiten, 20 schw.-w. Abb., 4 farb. Abb. Geb. EUR 29,90 ISBN 3-205-77069-2
Mehr Texte von Iris Meder †

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