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Konsequenz

Im Jahr 1980 gab Hans Magnus Enzensberger „Transatlantik“, seiner soeben gegründeten Zeitschrift, einen Essay mit auf den Weg, der „Das Ende der Konsequenz“ betitelt war. Der Aufsatz erzählte unter anderem die Geschichte von einem jungen Mann aus Fernost, der in Paris Volkswirtschaft studierte und lernen wollte, wie man in seinem Land den Hunger bekämpfen und die Entwicklung forcieren könnte. Landflucht sei ein großes Problem, brachte man ihm da bei, die Ungerechtigkeit der Verteilung, die Minderbewertung des agrarischen Sektors. Als der Mann zurückkehrte in sein Land, würde er umsetzen, was er mit der Autorität des Akademischen im Gepäck hatte. Das Land war Kambodscha, der Mann war Pol Pot und sein Regime eines der schrecklichsten im schrecklichsten aller Jahrhunderte. Enzensbergers Konklusion, man solle vielleicht weniger konsequent sein etwa bei der Realisierung von Projekten, war unmittelbar einsichtig. Zeitgeistdenker, der er ist, hatte Enzensberger einen Moment erwischt, da seine These ohnedies beherzigt worden war. Die steilen Theorien der Universitäten begannen Diskurse zu werden, der Maoismus wurde ästhetisch, die Politik, die einst alle umgetrieben hatte, floss ein in „das Politische“, und die Verwegenheiten fanden sich wieder in den Sinngebungsinstanzen des Kunstbetriebs. Da ließ es sich um so ungenierter schwadronieren. Das himmelhoch getürmt Gedachte war unschädlich. Es war autonom. Es war Kunst. Und natürlich hielt man das dann für ungeheuer politisch. Auch, gerade auch die Denker des Sozialen wurden einverleibt. In den Readern, etwa vom Marktführer Routledge, schob sich so im Register neben Lacan, Jacques, zum Beispiel der Eintrag Laclau, Ernesto. Der Politologe, der an der Universität Essex lehrte, wurde zusammen mit seiner Frau Chantal Mouffe die Sensation mehrerer Saisonen. Symposien wurden reichlich absolviert, wo sie sich die Bälle zuwarfen. Documenten wurden in Grund und Boden kritisiert dank ihres Vokabulars. Der verdienstvolle Siebenbänder „Ästhetische Grundbegriffe“ des Metzler Verlags hat unter dem unschuldigen Lemma „Phantasie“ diesen Verweis parat: „Laclau/Mouffe, Hegemony and Socialist Strategy“, erschienen 1985. Die Theorie von der Gegen-Hegemonie, an Antonio Gramsci orientiert, den bisher Marginalisierten übertragen, war ohne Zweifel überzeugend. Vor allem auf dem elfenbeinernen Gebiet des Diskurses. Yanis Varoufakis, Foto: yanisvaroufakis.eu Nun hat sich die letzten Monate ein Laclau-Schüler ganz vehement zu Wort gemeldet. Yanis Varoufakis hat in Essex nicht nur sein gutes Englisch gelernt, sondern offenbar auch jede Menge „Towards a Radical Democratic Politics“, wie der Untertitel des Buches von Laclau/Mouffe es nennt. Varoufakis hat wohl auch von der Rezeption gelernt und die Maximalisierungen beherzigt, die ihm im Kunstbetrieb beigegeben wurden. In Auftreten und Unerbittlichkeit hat Varoufakis ganz auf den Autonomie-Gedanken gesetzt, im formsicheren Spiel von Spruch und Gegenspruch, das er mit sich selber durchexerzierte, war er perfekte Theatralik. Die Performance war konsequent. Varoufakis gibt den Künstler fortan wieder ohne Mandat. Die Konsequenzen trägt sein Land.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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