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Internationaler Faber-Castell Preis für Zeichnung 2015: 13 Tonnen Zeichnung

Ein papiernes Ungetüm, 13 Tonnen schwer, zerteilt wie nach einem apokalyptischen Unfall eine Koje des großen Austellungsraums im Neuen Museum Nürnberg. Daneben PET-Flaschen, leere wie volle, ein Fender-Verstärker. Papierschnipsel sieht man links vor allem, neben dem aufgelösten Quader. Ein schwarzes Kabel liniert schwungvoll den Boden. Schwarze Tintenflecke lassen den vielgestaltigen Papierhaufen an manchen Stellen wie durchnässte Asche ausschauen. Fußabdrücke bringen Swing in den Raum. In der Fläche, auf dem Boden, findet sich das. Aber das Objekt ist dreidimensional und das Produkt einer Performance von Anastasia Ax. Zwei Tage vor der offiziellen Preisverleihung am Donnerstag, 16. Juli, entstand dieser Teil von "The World as of Yesterday". Mit dem Abschluss dieser vehementen Arbeit stand die Preisträgerin des zum zweiten Mal vergebenen "Internationalen Faber-Castell Preises für Zeichnung" fest. Die Preisträgerin, Anastasia Ax, die 1979 in Stockholm geboren wurde, ist eine Künstlerin, die verdeutlicht, dass Gattungsbegriffe wie "Zeichnung" heutzutage nur mehr als Metapher verwendet werden können. Und damit ist ein Charakteristikum der Arbeiten von allen Erkorenen benannt, denn im Vergleich zur ersten Auflage des Preises im Jahr 2012, der noch von der klassischen Zweidimensionalität des Bildträgers Papier dominiert wurde, zeigt die Ausstellung der Auserwählten aus diesem Jahr (bis 11. Oktober, Katalog 20 Euro), dass eine solche begriffliche Festlegung der Vergangenheit angehört. Die potenziellen Geehrten des Preises, den der altehrwürdige Zeichengerätehersteller aus dem kleinen Städtchen Stein am südwestlichen Rand von Nürnberg auslobt, werden nominiert. Marion Ackermann (Kunstsammlung NRW, Düsseldorf), Daniel Birnbaum (Moderna Museet, Stockholm), Karola Kraus (mumok, Wien), Hans Ulrich Obrist (Serpentine Gallery, London) und Dirk Snauwaert (Wiels, Brüssel) schickten jeweils einen ihrer Favoriten ins Rennen, und gewählt haben schließlich die Juroren Katrina M. Brown, Mario Codognato, Enrico Lunghi und Heike Munder. Stimmen aus Nürnbergs Neuem Museum gaben die Direktorin Eva Kraus und ihre Ausstellungsleiterin Melitta Kliege ab. Neben Ax waren Ed Atkins, Ulla von Brandenburg, Aleksandra Chaushova und Julia Haller nominiert. Eine hochkarätige Liste aus jungen, gerade arrivierenden und bereits eingesessenen Künstlern also. Deren jeweilige Auseinandersetzung mit dem Medium der Zeichnung unterscheidet sich teils gewaltig, doch locken die Werke. Spannend und sehr zurückhaltend gibt sich das vielteilige Werk von Julia Haller, Jahrgang 1978. Sie splittet eine riesige Zeichnung in viele Teile. Die Lineamente werden als Fragmente auf Glas gelasert. Jeder Part ist wie ein Einzelbild gerahmt, doch das Ganze einer unsichtbaren Zeichnung schwebt darüber als virtueller Kontext. Unter der Glasgravur aus Licht findet sich jeweils eine klassisch grundierte Leinwand, die monochrom mit Eisenoxyd bemalt wurde. Je nach Oxidationszustand werden hauchzarte Schattierungen in den samtig-dunklen Oberflächen sichtbar. Ob sie dabei auch auf den Bestandteil von Tusche ansprach, der heute Restauratoren von alten Zeichnungen mit Gallustinte durch den Papierfraß das Leben schwer macht? Ulla von Brandenburg, 1974 geboren, spielt mit einem anderen Aspekt der Zeichnung: dem Schatten und der Frage nach dem Bild selbst. In ihrer Installation hat es den Anschein, als seien jene drei tafelbildgroßen, aquarellierten, historischen Karnevalsmotive jahrelang auf dem Tuch gehangen, mit dem ihre Koje ausgespannt ist. Die Bilder stehen auf dem Boden und haben scheinbar ungebleichte Flecken auf der sonst aufgehellten Stoffbespannung hinterlassen. Hierbei denkt man gleich an die Lichtbildnerei, denn es geht schließlich auch um Positiv- und Negativbilder. Da wundert es nicht, wenn an der gegenüberliegenden Wand, ganz unscheinbar, ein Foto von einer Mondmission der NASA zu sehen ist. Diese Bilder gaben Verschwörungsgläubigen den Anlass, die Mondlandung als Fake denken zu wollen. Was also ist das Bild, was die Realität? Alte Fragen sind hier in neue Erscheinungsweisen überführt. Ein Narrativ der Ungeheuerlichkeit, ähnlich tiefschürfend wie das von Brandenburg, setzte Aleksandra Chaushova in Szene, indem sie auf der Basis der Architekturpläne für das Mausoleum des bulgarischen Politikers Georgi Dimitrow (1882-1949), dieses inexistente Gebäude in Sofia, das 1950 erbaut und 1999 abgerissen wurde, reanimiert. Der alte Kommunist und Stalinkumpel taugte ja nicht mehr für die neue Zeit. Also fort damit. Es dauerte allerdings lange, bis der konservierte Dimitrow-Leichnam und das dazugehörige Gebäude als historische Hybris abgeschafft wurden. Chaushova, 1985 geboren, nahm die Pläne, scannte sie, gab ihr per Bildbearbeitung regelmäßige Knicke und Falten und nutzte dann Ausdrucke für neue Werke. Jede Diktatur lebt und zehrt von ihrer Illusion einer unmöglichen Ewigkeit. Hier gibt es daher ein Theaterstück, dessen Text der Besucher mitnehmen kann. Es ist eine "Absage an das Ende aller Dinge", so der Titel. Den Mythos der Geschichte stellt das Stück nach, und diese Überzeichnungen sehen wir in wörtlicher Weise anhand der Architekturzeichnungen, die wiederum mit den Zeichnungen der Akteure aus dem Stück verfremdet sind. Damit schließt sie nahtlos an die Installation in der Nachbarschaft an und stülpt diese in den Raum einer allgemeinen, überindividuellen Geschichte, während die letzte Arbeit auf den Schein der Individualität abzielt. Hier zeigt Ed Atkins, Jahrgang 1982, dass konstruierte Identität nach wie vor künstlicher und konstruierter nicht sein kann. Seine dreidimensionale Figur, ein gelackter Superling, feiert seinen Video-Geburtstag und kotzt zu "Always on my mind" von den Petshop Boys bzw. Willie Nelson. Mehrere großformatige Zeichnungen rahmen die Arbeit. Atkins zeigt dazu außerdem eine zeichnerische Arbeit von Pierre Klossowski. ein Panoptikum an Psychosen, die das digitale Zeitalter gebiert. Dass die Wahl auf Aleksandra Ax gefallen ist, mindert die Qualität der anderen Künstler nicht. Allerdings verdient die Ambivalenz in ihrer Beschäftigung mit Zeichnung, so komplex wie vehement diese ist, besondere Wertschätzung. Denn wenn man bedenkt, dass das Papier – es stammt von Recyclingfirmen vor Ort – nach der Ausstellung wieder in den industriellen Kreislauf zurück fließt und vom Werk nach Ausstellungsschluss kaum etwas bleibt, wenn man sich vor Augen führt, dass Ax die Tusche teilweise auf ihre Installation spuckt, wenn man in Betracht zieht, wie heftig das Performative erscheint und der ganze Raum etwas von Molotov-Cocktail und Unfallopfer hat, die stille Kultur der Zeichnung dennoch darin geborgen ist, fällt es nicht schwer, sich in diese zerschredderte und in Quader gepresste Landschaft zu begeben und die Zerreißprobe zu genießen: im Spannungsfeld zwischen dem stummen Zeichnen und der sich entladenden Vehemenz.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Internationaler Faber-Castell Preis für Zeichnung 2015
17.07 - 11.10.2015

Neues Museum - Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg
90402 Nürnberg, Klarissenplatz
Tel: +49 911 240 200, Fax: +49 911 240 20 29
Email: info@nmn.de
http://www.nmn.de/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 h


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