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Tino Sehgal: Die immaterielle Arbeit des Tino Sehgal

Im Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt Tino Sehgal derzeit in seiner ersten „Werkschau“ gleich 5 seiner performanceartigen Situationen. Anlass genug, diese immer wieder so erfolgreiche Kunst kritisch zu beäugen. Informationsmaterial zur Ausstellung wird selbstverständlich nicht ausgegeben, kein Plakat wirbt für das Event, kein Katalog erscheint und nicht einmal auf der Einladungskarte ist der Name des Künstler zu lesen. Immateriell nämlich soll dieses „Werk“ sein und bleiben – und dieses seit nunmehr gut 15 Jahren. Kein Wunder, dass Wolfgang Ullrich jüngst dieser Kunst attestierte, dass sie „zur Masche geworden“ ist. Wie diese Masche gestrickt ist, kennt man im Kunstbetrieb, die Ansammlung von 5 Situationen in der Ausstellung im Gropius-Bau lässt zudem das Muster dieser Ästhetik noch deutlicher werden. In fünf Räumen spielen Akteure also kleine Quasi-Drehbücher des Künstlers durch: Hetereosexuelle – und nur solche! – Paare küssen sich und stellen so mehr oder weniger berühmte Küsse aus der Kunstgeschichte nach. Andere Akteure stimmen an zum A-Cappella Gesang, wieder andere diskutieren scheinbar miteinander ... Bis zu 80 Menschen nehmen angeblich zeitweise an solchen Situationen teil. Die fünf Räume funktionieren dabei als leere, mal gar dunkle Bühnen, die bar jedweden Bühnenbildes auch als belebter white cube angesehen werden können. Die Stimmung ist hier, wohlwollend gesagt, besinnlich bis meditativ, ehrlich gesagt aber latent pathetisch, ja kitschig. Und allzu konventionell wird hier die Trennung von Akteur und Betrachter stabil gehalten, auch wenn sie, u.a. durch die Schlichtheit des Gespielten, so tut als wäre sie kaum noch vorhanden. Doch das Hauptproblem der Kunst von Tino Sehgal liegt in seiner Grundidee, nämlich dem Anspruch einer kritischen Haltung durch Immaterialität. Diesen Anspruch hat der Künstler in einem Text einmal selbst so beschrieben: „jeder Form der Objekt-Kunst-Strukturen, denen ich politisch skeptisch gegenüber stehe, (spiegeln den) historisch vorherrschenden Modus ökonomischer Produktion“. „Transformation von Handlung anstelle von Transformation von Materie“ gelänge es dagegen „anstelle von Wachstumsökonomie“ zu treten. Was Sehgal bei diesen Überlegungen schlichtweg übersieht ist, dass ökonomische Produktion spätestens seit den 90er Jahren vor allem auch als immaterielle Arbeit von statten geht. Dieses Übersehen versagt seiner Kunst jedwede Möglichkeit, die Realität aktueller Ökonomie zu reflektieren, stattdessen überhöht die Immaterialität sie theatralisch. Dass immaterielle Arbeit größtenteils ebenso prekär ist wie materielle, kann selbstverständlich nicht wahrgenommen werden, wenn man solch‘ Arbeit aus dem eigenen Fokus verbannt hat. Ebenso wenig sieht Sehgal, dass immaterielle Arbeit gerade wegen ihrer optimalen Ausbeutungsmechanismen überaus profitabel ist – genau übrigens wie seine „eigene“ immaterielle Arbeit, die ihn längst zu einem der erfolgreichsten Künstler der letzten 10 Jahre gemacht hat. So ist es eben kein Zufall, dass Sehgal vor 2 Jahren den Golden Löwen als bester Künstler auf der Venedig Biennale gewonnen hat. Auratische Überhöhung wird eben immer noch mehr geschätzt als kritische Reflexion.
Mehr Texte von Raimar Stange

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Tino Sehgal
28.06 - 08.08.2015

Gropius Bau
10963 Berlin, Niederkirchnerstr. 7
Tel: +49 30 25486-0, Fax: +49 30 25486-107
Email: post@gropiusbau.de
http://www.gropiusbau.de
Öffnungszeiten: Mi-Mo 10-20 h


Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
bei kritischer Kritik
keine Ahnung | 02.08.2015 08:29 | antworten
ist es immer besonders unangenehm, wenn Autorennamen oder ähnliches falsch zitiert werden. Dennoch werde ich mal über diese kritischen Worte nachdenken, bisher fand ich Sähgull (oder wie schreibt man ihn noch gleich?) immer überzeugend.
Korrektur
redaktion | 17.08.2015 08:08 | antworten
Es tut uns leid, natürlich sollte es "Wolfgang Ullrich" heißen.

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