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Freie Sicht auf Ernest Borgnine

Die erste Frage müsste lauten: Braucht irgend jemand ernsthaft einen Film über die Ereignisse vom 11. September 2001? Einigt man sich darauf, dass das Kino auch ein Spiegel seiner Zeit ist, so hat die Existenz eines solchen Films doch eine gewisse Berechtigung. Bleibt noch zu fragen: Wie lässt sich das Thema umsetzen, ohne dass es peinlich wird? Alain Brigand war sich der Probleme wohl bewusst und hat für seine Produktion "110901" nicht eine(n), sondern gleich elf internationale RegisseurInnen engagiert, die jede(r) einen Film von 11 Minuten, 9 Sekunden und 1 Bild Länge realisierten. Brigands Konzept ging auf: Der Mix von teils poetischen, teils kritischen Beiträgen macht das abgelutschte Thema eigentlich durchwegs ganz erträglich. Eine der drei Episoden, die den Aspekt der Trauer thematisieren, stammt vom Mexikaner Alejandro González Inárritu ("Amores perros"). Er schuf eine sehr eindringliche, aus einem Gebet der Chamula-Indios und originalen Aufzeichnungen von Geräuschen der Katastrophe bestehende Ton-Collage, die vorwiegend von monochrom weißen und schwarzen Bildern begleitet wird. In fünf der übrigen Kurzfilme wird der Anschlag vom 11. September 2001 zu vergleichbar tragischen Ereignissen in Beziehung gesetzt. Besonders gelungen sind der Beitrag des Engländers Ken Loach, der USA-Kritik betreibt, indem er an den 11. September 1973 erinnert, an dem der chilenische Präsident Salvador Allende durch einen von der CIA unterstützen Putsch gestürzt wurde, und der des Israeli Amos Gitai: Am 11. September 2001 kommt der Live-Bericht einer zufällig bei einem Attentat in Tel Aviv anwesenden Fernsehjournalistin nicht auf Sendung, weil die noch schlimmere Katastrophe in New York schon den Sendeplatz blockiert. Der mit Abstand subtilste, poetischeste Beitrag stammt vom Amerikaner Sean Penn. Er zeigt den Schauspieler Ernest Borgnine in der Rolle eines alten Witwers, der in seiner Einsamkeit Gespräche mit der geliebten Verstorbenen führt. Im schönsten, berührendsten Moment des gesamten Films fällt die innere Realität des Witwers mit der äußeren der Zwillingstürme zusammen: Endlich geht auch in seiner finsteren Wohnung die Sonne wieder auf und der Himmel öffnet sich vor ihm. Es ist der Morgen des WTC. 110901 - September 11, F 2002, 130 min Künstlerischer Produzent: Alain Brigand Produktion: Galatée Films, Studio Canal RegisseurInnen: Samira Makhmalbaf (Iran), Claude Lelouch (Frankreich), Youssef Chahine (Ägypten), Danis Tanovic (Bosnien-Herzegowina), Idrissa Ouedraogo (Burkina Faso), Ken Loach (Großbritannien), Alejandro González Inárritu (Mexiko), Amos Gitaï (Israel), Mira Nair (Indien), Sean Penn (Vereinigte Staaten), Shohei Imamura (Japan);
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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