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Charlotte Salomon - Leben? oder Theater?: Das grausame 20.Jahrhundert

Das Rupertinum in Salzburg zeigt zur Festspielzeit den bemerkenswerten Gouachenzyklus der deutsch-jüdischen Künstlerin Charlotte Salomon, die 26-jährig im Jahr 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Aus dem Zyklus, der aus über 722 Malereien im A4 Format besteht, zeigt das Rupertinum eine Auswahl die in Vorspiel, Hauptteil und Nachwort gegliedert ist. Es ist eine Art Singspiel, das Charlotte Salomon von den Lippen und aus der Hand floss. Während sie zeichnete und malte kamen ihr zahlreiche Musikstücke in den Sinn und sie legte den handelnden Personen auch Singstücke quasi in den Mund. Auf einem Pauspapier, das sie über die jeweilige Malerei legte, gab sie Anweisungen für den musikalischen Teil ihrer Arbeit. Auch diese Notate sind teilweise in der Ausstellung zu sehen. Im Juli 2014 wurde dieser Bilderreigen als Oper bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Es war eine Auftragsarbeit der Festspiele, die an Marc-Andrè Dalbavie ging. Sehr gelungen setzte er die Musiktitel die Charlotte Salomon bei ihren Malereien hörte als Zitate ein. Johanna Wokalek war die erzählende Charlotte während es noch eine singende Lotte in der Oper gab. Der Zyklus „Leben? oder Theater?“, der in autobiografischer Weise die Kindheit und die Adoleszenz der Hauptfigur „Charlotte Knarr“ thematisiert, ist nun im Rupertinum zu sehen Er ist ein erschütterndes Beispiel des verzweifelten Lebensmutes eines Menschen, der auf seine Verhaftung wartet. Der Vater von Charlotte, der mit Machtantritt der Nationalsozialisten Professur und Lizenz verlor, wurde 1938 verhaftet und nach Sachsenhausen gebracht. Seine Frau, Charlotte`s Stiefmutter Paula, eine bekannte Sängerin, gelang es, ihn zu befreien. Daraufhin wurde auch mit Beginn des Weltkriegs beschlossen, Charlotte zu ihren Großeltern nach Villefranche-sur-Mer nach Südfrankreich zu schicken. Die beiden Großeltern lebten in einem Anwesen mit großem Garten bei der Deutsch-Amerikanerin Ottilie Moore. Als jedoch die Wehrmacht im Rheinland einmarschierte, nahm sich Charlottes Großmutter aus erschöpfter Verzweiflung das Leben. Erst in Gesprächen mit dem Großvater erfährt Charlotte, dass auch ihre Mutter den Freitod gewählt hatte und von mehreren weiteren Selbstmorden in ihrer Familie. Als das Vichy Regime 1940 zahlreiche antijüdischen Gesetze erlässt, werden Charlotte und ihr Großvater mehrere Monate im Lager in Gurs interniert. Unmittelbar nach ihrer Entlassung entsteht dieser Zyklus. Sie beendet ihn 1942. Die Farbigkeit und Expressivität ihrer Striche wird gegen Ende stärker und ausgefranster. Der emotionale Druck unter dem sie steht ist in der Malerei sichtbar. Den Abschied aus Berlin erzählt sie nur malerisch und schreibt keinen Text in die Bilder. Der Auszug von daheim ist unterlegt mit dem Lied „Morgen muss ich fort von hier“ der Comedian Harmonists von 1935. Wie sehr die Entscheidung der Eltern, sie wegzuschicken sie getroffen haben mag, lässt sich im Nachhinein nicht eindeutig sagen. Während Charlotte in Auschwitz ermordet werden wird, überleben ihre Eltern in den Niederlanden. Sie selbst übergibt den Zyklus dem Arzt Dr. Moridis in Villafranche, der ihn für Sie aufbewahrt. Die dunklen Stunden die in diesem Zyklus so sichtbar werden, auch die unglückliche Liebe zu ihrem Lehrer Alfred Wolfsohn - im Zyklus „Amadeus Daberlon“ - weichen gegen Mitte des Jahres 1943 einem Lichtblick. Sie lernt den Österreicher Alexander Nagler kennen, sie heiraten in Juni und Charlotte wird schwanger. Noch im selben Jahr wird ihre Hoffnung brutal zerstört. Das Paar wird nach Auschwitz deportiert und als Schwangere chancenlos, wird Charlotte Salomon sofort ermordet. Nagler überlebt einige Monate und stirbt danach an Entkräftung. Von der Familie überleben bloß der Vater und die Stiefmutter. 1947 reisen die Eltern nach Villafrance und Dr. Moridis übergibt ihnen den Zyklus „Leben? oder Theater?“. 1971 schenken die Eltern den Zyklus dem Historischen Museum in Amsterdam. Die Schriftstellerin Ruth Klüger meinte einmal in einem Interview, die Shoa stelle in erster Linie einen großen Verlust dar - nicht nur an Menschenleben sondern auch an Begabungen, an Reichtum und Vielfältigkeit des Lebens. Wie sehr das für Charlotte Salomon zutrifft kann man in diesem Zyklus sehen. Zurück bleibt der Eindruck einer hochsensiblen, geschundenen Künstlerin, die wegen einer grausamen Ideologie sterben musste.
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Charlotte Salomon - Leben? oder Theater?
11.07 - 18.10.2015

Museum der Moderne Salzburg Rupertinum
5010 Salzburg, Wiener Philharmonikergasse 9
Tel: +43 662 84 22 20.451, Fax: +43 662 84 22 20.750
Email: info@museumdermoderne.at
http://www.museumdermoderne.at/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Mi 10-20h


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