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Frank Thiel: Tiefenscharfe Analyse

Kräne ragen in den Himmel, Baugerüste ranken sich die Stahlskelette der Hochhäuser empor, teils kaschieren vorgehängte Glasfassaden die Rohbaustruktur. Mit dem riesigen, vierteiligen 2,80 mal 6,36 Meter Panorama vom Berliner Potsdamer Platz wurde Frank Thiel berühmt. Längst ist die euphorische Goldgräberstimmung nach der Wende Ernüchterung gewichen. Thiels bestechend scharfe, analoge Aufnahme des emsig ameisenhaften Bauens an hochtrabend-monströsen Projekten ist mehr als die ästhetische Dokumentation eines vergänglichen Zustands im Kosmos Stadt. Sie wird zum präzisen, analytischen Icon eines historischen Moments, bringt gerade in den Dimensionen von Bild und Baustelle die überzogene Erwartungshaltung im damaligen Berlin auf den Punkt. Der scharfe Blick aufs Charakteristische zeichnet auch Thiels Schul-Serie aus. Akribisch genau suchte er Gebäude, die nach 1976 im seriellen Fertigteilbau in Ostberlin errichtet wurden. Die unerbittlich sture Monotonie staatlich verordneter Planwirtschaft wird hier deutlich. Exakt dieselben Fensterelemente an jeder Schule, dasselbe Plattenformat, derselbe Stahlskelettraster. Zwei Arten vorgehängter Verkleidungselemente gibt es, bis auf die Farbe variiert nichts. Der konsequent gleiche Bildausschnitt zeigt nur ein Stück Boden und die Fassaden, die abstrakt-bildnerische Qualität entwickeln. Gerade im vordergründig Gleichen zeigt sich der Spielraum des Individuums: In jeder Schule sind andere Vorhänge oder Jalousien hinter den Fenstern, andere Kinderzeichnungen, Sauberkeit oder Graffiti am Sockel. Arbeiten mit Tiefenschärfe, die Differenzierung ermöglichen. Thiel blickt immer mehr ins Detail. Die aktuellsten Fotos zeigen formatfüllend Armierungseisen und Bewährungsgitter, die es auf jeder Großbaustelle gibt. Schon am Potsdamer Platz kann man sie aus der Ferne sehen, nun sind sie allein im Bild. Verschieden dimensionierte und gerippte Oberflächen, Färbungen, Rost auf den runden Eisen sorgen für eine starke malerische Komponente, die Gitter werden vom realen Objekt zur abstrakten Struktur. Analog fotografiert, öffnen auch sie sich zum Raum: liegen in Schichten übereinander, lassen auf Beton darunter blicken, Abstandhalter erkennen, Zettel entdecken, die ein Arbeiter hier verlor.
Mehr Texte von Isabella Marboe

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Frank Thiel
09.05 - 05.07.2003

Galerie Krinzinger
1010 Wien, Seilerstätte 16
Tel: +43 1 513 30 06, Fax: +43 1 513 30 06 33
Email: krinzinger@galerie-krinzinger.at
http://www.galerie-krinzinger.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 12-18, Sa 11-14 h


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