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The Power of the Many

Off-Biennale Budapest Wo eigentlich beginnen, jene destruktive politische Atmosphäre zu beschreiben, in der diskursive, relevante, aktuelle Kunst mit enormem Engagement versucht, Öffentlichkeit zu gewinnen, und wie zugleich in einem der ersten Sätze darauf hinweisen, dass es um Budapest geht, und dass hier ein vitales und hochinteressantes Statement gesetzt wurde, das zum Ausdruck bringt, welches Potential die Kunstszene der ungarischen Hauptstadt zu bieten hätte, müsste sie nicht unentwegt gegen strukturelle Schwierigkeiten und kulturpolitische Repression ankämpfen! Mit nur spärlicher Resonanz in den Medien außerhalb des Landes, ist es in Ungarns Hauptstadt in einem kollaborativen Prozess gelungen, eine zivilgesellschaftliche Kulturinitiative aufzubauen und erstmals eine Biennale, die eben genau deshalb Off-Biennale heißt, als grassroots-Netzwerk mit mehr als 150 KünstlerInnen an 130 (!!) verschiedenen Orten und 180 Events wie lectures und Präsentationen auf die Beine zu stellen. Mehr als 600 organisatorisch Beteiligte haben das Projekt möglich gemacht. Dabei lässt sich nur andeutungsweise beschreiben, unter welchen Bedingungen KünstlerInnen, KuratorInnen und Veranstalter arbeiten. Auch in Budapest mit 1,4 Millionen Wahlberechtigten erzielte 2014 nämlich die nationalistisch konservative FIDESZ Partei und somit Oberbürgermeister István Tarlos, Amtsinhaber seit 2010, eine Mehrheit; und das in einer insgesamt verschärften Situation. Während es den linksliberalen Kräften Ungarns nicht mehr gelang, einheitlich Stärke zu zeigen, legt nun die rechtsextreme JOBBIK Partei auch unter gut ausgebildeten jungen Menschen zu; spricht also nicht mehr allein typische Systemverlierer an. Rechtsnationale Besetzungspolitik in Ungarn Um die Ferne der offiziellen Politik zu einer diskursiv fundierten Kultur zu illustrieren, sei erwähnt, dass eines der Hauptthemen im Wahlkampf von Budapest die Erneuerung von Metrolinien war; wie in Wien die Stadtbahn bei Lueger im 19. Jahrhundert. Dass außerdem jener Ministerialausschuss des Bereichs Kultur, in dem über Besetzungsgremien entschieden wird, unter der Leitung des rechts stehenden Attila Vidnyánszky, dem Intendanten des ungarischen Nationaltheaters, in ein klerikal-völkisches Exekutivorgan der kulturfeindlichen Politik Ungarns umfunktioniert wurde, ging ja mittlerweile auch durch mitteleuropäische Medien. Angesichts dessen, unterscheidet sich die Off-Biennale Budapest in einem zentralen Punkt von anderen, ähnlichen Initiativen. Während Biennalen seit der Gründung in Venedig 1895 von offizieller Seite und oft – wie in Istanbul oder in Kochi – durch privatwirtschaftliche Kräfte dynamisiert zum Zweck lokaler Modernisierung aufgebaut worden sind, geht es im Fall der Off-Biennale Budapest überhaupt um die erstmalige breit angelegte, inhaltliche Positionierung relevanter aktueller Kunst und ihrer Diskussionen in einem internationalen Kontext; und zwar durch eine tendenziell autonome Vernetzungsinitiative und eine Vielzahl von Veranstaltungen, die dem Ganzen neben den zahlreichen Ausstellungen den Charakter eines Festivals der Debatten geben. Mit Diskussionen zum Thema urbaner und kultureller Peripherie, einer Veranstaltung mit dem Titel »Cooperation Beyond Consensus – a Test of Collectivity« oder zur Halbzeit einer Lecture des australischen Aktivisten Simon Sheik im FUGA (Budapest Center for Architecture) mit einer Menge lokaler KuratorInnen und TheoretikerInnen im Publikum sei angedeutet, in welche Richtung die Veranstaltungen in Kulturzentren, Buchhandlungen oder Cafes gingen. Strikte Auswahl Kriterien Von den teilnehmenden KünstlerInnen seien nur einige herausgegriffen wie etwa Carlos Amorales, Balázs Antal–László Hatházi, Anca Benera & Arnold Estefan, Andreas Fogarasi, Kendell Geers, Milica Tomic, Little Warsaw, Tevz Logar, Maha Maamoun oder die renommierte Konzeptkünstlerin Dóra Maurer. Namedropping jedoch kann nicht einmal einen skizzenhaften Eindruck vermitteln, weil viele der jungen ungarischen KünstlerInnen noch relativ unbekannt sind, und eine Menge Ausstellungen abseits von Galerien oder Kunsträumen auch in privaten Wohnungen, als Interventionen in leeren Gebäuden, in Bars oder auf öffentlichen Plätzen in Szene gesetzt wurden. Dass für dieses im Stadtraum weit gespannte Netzwerk sichtbar von Ort zu Ort flanierendes Publikum gewonnen werden konnte, spricht für den enormen Aufwand. Staatlich oder kommunal finanzierte Werke und Projekte wurden im Zuge des Auswahlverfahrens ausdrücklich nicht akzeptiert und vom KuratorInnen-Komitee nicht einbezogen, was auch offiziell so transparent gemacht wurde. Keineswegs lehnen die Veranstalter (die grundsätzlich richtige) öffentliche Kulturfinanzierung ab, trafen diese extreme Entscheidung aber, weil sie unter dem gegenwärtigen Paradigma reaktionärer Politik mit ihren zügellosen Interventionen, die zu erwartenden Einmischungen ebenso vermeiden wollten, wie die fragwürdige Bevorzugung einzelner Projekte. Crowd-Financing and Supporting Neben zahlreichen anderen zählen der norwegische NGO Fonds, tranzit.org, the open society Foundation des Bankers George Soros oder die Erste Stiftung zu den Hauptsponsoren. Unterstützend wirken Kunsträume und Galerien mit sichtbarem Interesse an einem diskursiven Programm wie die Knoll Galerie oder mehrere internationale Kulturforen wie das Goethe Institut, das Institut Francais oder das Österreichische Kulturforum. Die Doppelrolle der Erste Bank, im Zuge ihrer Unterstützung zivilgesellschaftlicher Kulturprojekte in postkommunistischen Staaten positive Markenpolitik im Verbund mit ihrer offensiven Osteuropa-Strategie zu betreiben, wird gerade hier wieder evident, hat deren Chef Andreas Treichl doch in den vergangenen Monaten die Gesprächsbasis mit Viktor Orban intensiviert, um zu erreichen, was Banken immer schon auf ihrer Agenda haben: niedrigere Steuern und höhere Gewinne. Über ein Tochterunternehmen beabsichtigt die Erste Bank in den kommenden Jahren unter gelockerten Rahmenbedingungen 550 MIO Euro neuer Kredite für den öffentlichen Sektor in Ungarn zu vergeben. Leicht könnte man also fatalistisch reagieren und Schwarz sehen. Die letzten Wochen hingegen zeigten, dass es gelungen ist, eine Dynamik aus Debatten und ortsadäquat eingeschriebenen Ausstellungen in Gang zu setzen, die hoffentlich weitere strukturelle Spuren und Begeisterung für kritische Diskurse abseits der großen Karl Marx Oratorien (wie in Venedig) hinterlässt. Wenn dies tatsächlich der Auftakt für eine zwei-jährlich über die Bühne gehende Kunst-Veranstaltung war, dann lässt sich nur sagen, dass dieses Biennale Modell ein enormes Potential dafür geschaffen hat. OFF-BIENNALE BUDAPEST Curatorial team: Nikolett Eröss, Anna Juhász, Hajnalka Somogyi, Tijana Stepanovic, Borbála Szalai, Katalin Székely, János Szoboszlai offbiennale.hu
Mehr Texte von Roland Schöny

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