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Erik van Lieshout - After the Riot II: Der Weg ist das Ziel

Das Politische in der Kunst ist ein schwieriges Geschäft, sollen Propaganda und Kitsch vermieden werden. Wer sich sehenden Auges als Künstler auf dieses Terrain wagt, wird sich fragen müssen, wo im Zuge der Agitation die Grenzen des ästhetischen Handelns liegen. Gut gemeint ist da nicht immer gut gemacht, so urteilen das eine Mal die Kunstkritiker, dann Vertreter politischer Kräfte: ein Dilemma, das mit dem nach wie vor so aktuellem "Floß der Medusa" des Théodore Géricault vor 200 Jahren die oberen Geschosse des gesellschaftlichen Diskurses erreichte. Erik van Lieshout scheut sich nicht, diesen Weg zu betreten. "After the Riot II" geht mitten hinein ins Geschehen und leistet sich in jenem Akt, der von allen notorischen Wirklichkeitsverweigerern als "Nestbeschmutzung" diffamiert werden kann, einen kritischen Blick auf sein Heimatland. Dieser als Rahmen für ein Publikum gestaltete Blick nimmt dabei in Kauf, ähnlich banal zu sein, wie die Installation die auf dem Berliner Oranienplatz an den Skandal der versperrten EU-Außengrenzen gemahnt: symbolisiert durch ein Polygon mit von außen geschlossenen Türen. Bei Erik van Lieshout ist dies eine Art Arena, umgeben von mobilen Zäunen, die ein semitransparentes Innen und Außen kreieren. Man kann diesen Zuschauerraum durch eine schmale Pforte betreten und sieht hier auf zwei Projektionsflächen Filme, in denen unterschiedliche Protagonisten im "Spiel" Flucht und Einwanderung zur Sprache kommen: der Flüchtling, der Schleuser, der Profiteur. Wäre nicht allen geholfen, wenn der attraktiven asiatischen oder afrikanischen Frau die Einwanderung nach Europa ermöglicht würde, um korpulenten und reifen Herren ein unverhofftes Glück zu spenden? Holzschnittartig erscheint die Figur dieses Arguments: das ewig Böse in Form des weißen Mannes. Der mag in den Collagen des Erik van Lieshout im erotischen Rollenspiel auch als Hund an der Leine seinen Auftritt bewerkstelligen und als dominanter Sklave seiner aus exotischen Landen herbei gebrachten Herrin die Regeln seiner Lust diktieren. Es ist, so vermittelt Erik van Lieshout die Situation, ein doppeltes Spiel. Nicht anders erscheint die Lage aus innereuropäischer Perspektive, wenn er den russischen Oppositionellen Alexander Dolmatov thematisiert. Der russische Politiker hatte in den Niederlanden Asyl gesucht und 2013, mutmaßlich aus Furcht vor der Abschiebung nach Russland, sein Leben – aller Wahrscheinlichkeit nach – eigenhändig beendet. So hat Erik van Lieshout in den Räumen seiner Berliner Galerie ein Wespennest eingerichtet, das in Bezug auf den zentralen, weitgehend abgesperrten Raum die Besucher auf perverse Art in die Rolle drängt, sich zu fragen, ob er Eindringling, Gefangener, Aussperrender oder Wärter ist. Und entgeht der Künstler dem ästhetische Dilemma? Skizzen und Collagen machen es schwierig, das Können des Niederländers zu übersehen. "After the Riot II" befindet sich in einer Galerie zum Verkauf - das ist als ökonomischer Umstand nicht hintergehbar. Aber ebenso unhintergehbar ist der Umstand, das diese Arbeit im Ganzen ein Set unangenehmer Fragen generiert und psychologisch in den ästhetisch-rezeptiven Zuschauerraum hinein interveniert. Im Programm von Guido W. Baudach artikuliert Erik van Lieshout jedenfalls inhaltlich das Gegenstück zum Form-bewussten Eskapismus eines Björn Dahlem, wo allerdings beide, ein tiefer Sinn für das Installative, Raum und Betrachter umgreifende, vereint.

Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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Erik van Lieshout - After the Riot II
01.05 - 06.06.2015

Galerie Guido W. Baudach (alte Location)
10785 Berlin, Potsdamer Straße 85
Tel: +49 (0)30 31998101, Fax: +49 (0)30 31998103
Email: galerie@guidowbaudach.com
http://www.guidowbaudach.com
Öffnungszeiten: Di-Sa 12-18 h


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