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Pipilotti Rist. Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an: An der Nahtstelle zum Schönen

Schon faszinierend, wie sich die Ausstellungen der Pipilotti Rist als Environments durchgängiger Erlebnislandschaften öffnen, wie fein abgestufte Lichtstimmungen und räumliche Videoprojektionen zur Verlangsamung einladen. Dabei scheint, es als wäre das Œuvre der Schweizer Künstlerin gar nicht so umfangreich und bald einmal abgehakt.

Es kreist um Vorstellungen von Schönheit codiert mit Natur und Wasser, und es geht um Farben, Körper und Sexualität, dabei aber um fließende Energien in verletzlichen Partialobjekten, um sich aufbauende erotische Spannung, aber auch um das Fragile im Zueinanderkommen. Einige Arbeiten geben einiges zum story telling und zur Imagebildung her; wie der auf Pipi Langstrumpf bezogene »aka name« der Elisabeth Charlotte Rist.

Image-prägende Schlüsselwerke
Dazu gehört das in Venedig ausgezeichnete Video »Ever Is Over All«, das 2012 beispielsweise in der Hayward Gallery, 1998 bereits in der Kunsthalle Wien und diesen Winter erst im Kunsthaus Graz zu sehen war. Hier schlägt eine junge Frau in Zeitlupe mit einer Fackellilie aus Metall die Fenster parkender Autos ein. Der Clou besteht darin, dass eine vorbeigehende Polizistin bloß freundlich grüßt, anstatt den destruktiven Tanz zu sanktionieren. Spielort ist außerdem Zürich, das 1968 mit den Globuskrawallen und 1980 neuerlich mit Straßenschlachten rund um die Schließung des AJZ Schlagzeilen machte. Mit subversiver Ironie werden Verhaltensnormen überschritten und der Schweizer Besitz-Ideologie spielerisch, von weiblicher Seite her der Finger gezeigt.

So als wäre alles gestern gewesen, so authentisch beschreibt Pipilotti Rist immer noch die choreographierten Aufnahmen mit einer Tänzerin. Durch die Projektion des Videos über ein Eck innerhalb des Vorführbereichs entsteht eine schmissig, verzerrte räumliche Anmutung. An jedem Flecken der Ausstellung wird so evident, wie alles bis zum letzten Quadrat-Zentimeter durchdacht ist; sogar da, wo schmale Fenster in einem Durchgangsbereich den Blick nach draußen freigeben. Anstatt diese zuzunageln, wurden sie farbig foliert, um die Stimmung konzise weiterzuführen.

Pingelige Detailarbeit
Ebenso wie Pipilotti Rist, die in den 1980ern an der Angewandten studiert hat, oft Stunden von Video-Material für ein paar brauchbare Sekunden dreht, so merkt man auch den Raumsituationen die pingelige Detailarbeit an. Ihre Wirkung entfaltet die Retrospektive aus der Dramaturgie immersiver Bildwelten. Die Werke werden situationsspezifisch adjustiert; wie das 20 Jahre alte »Sip My Ocean« in einer sich großzügig öffnenden Zone mit Projektionen über mehrere Wände.

Einladende Betten oder Pölster auf dem Boden wirken stimmig. Fein austarierter Sound und Szenographie sind integrale Bestandteile. Am Beginn des chronologischen Gerüsts begegnet man den Videos mit eingebauten Bildstörungen und dem 80er Jahre Kurzfilm »I’m Not The Girl Who Misses Much«. Zu einen Beatles-Song die Bilder einer nervös hüpfenden barbusigen Frau. Das Begehren im Sinne eines Greifens nach dem mädchenhaften Körper aber wird frustriert, weil die zittrig ins Bild gesetzte Frau, die mit überschnell abgespulter Barbie-Stimme singt, sich visuell permanent entzieht. Über 235.000 Aufrufe verzeichnet dieses Werk übrigens auf YouTube. Für ein 20 Jahre altes Kunstvideo bemerkenswert.

Am Ende der Parabel dann das sogenannte »Kremser Zimmer« das in eine imaginierte Privatsphäre mit persönlichen Erinnerungsstücken und Tony Oursler ähnlichen Projektionseinsprengseln führt. Insgesamt geht es nicht um große Wechsel. Man begegnet Koketterien mit Kitsch und Anspielungen auf Märchenhaftes als Antwort auf gesellschaftliche Zwänge, und in all ihrer Verletzlichkeit extrem nah herangerückten Bildern des nackten Körpers; gelegentlich auch des Männlichen.

Gratwanderung entlang eines imaginierten Schönen
All das bleibt eine riskante Operation. Welche Gefahren die Gratwanderung entlang eines imaginierten Schönen in sich birgt, zeigt sich nämlich an Hand der wandfüllenden Großprojektion in der zentralen Halle. Im Loop von saftigen Wiesen, Blumen und fließendem Donauwasser schmelzen die süßlichen Bilder hier in inhaltsfreier Leichtigkeit dahin.

Es liegt auf der Hand, dass man es mit einer utopischen Romantikerin zu tun hat. Trotz Auflösung klassischer Blickachsen, Unterwanderung üblicher Hierarchien im Raum und Darstellung des Körpers in Partialitäten führt Pipilotti Rist einige klassische Implikationen des Kunstraums ungebrochen weiter. Die von ihr repräsentierte Welt bleibt nämlich in einer weißen und mitteleuropäischen Sichtweise verwurzelt.

Entstanden ist trotzdem eine meistenteils großartige und glaubwürdige Ausstellung. Es gelingt ihr, den Möglichkeitssinn im Umgang mir dem Videobild auszuweiten. Überraschend wohltuend rückt Pipilotti Rist außerdem den unversehrten Körper als lustvolle Perspektive heran, während wir uns draußen, außerhalb des Kunstraums, an virtuelle Selfie-Universen klammern, um in einer wirtschaftlich und sozial zerrütteten Welt nicht zu vereinsamen.

Mehr Texte von Roland Schöny

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Pipilotti Rist. Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an
22.03 - 28.06.2015

Kunsthalle Krems
3500 Krems, Franz-Zeller-Platz 3
Tel: +43-2732 90 80 10, Fax: +43-2732 90 80 11
Email: office@kunstalle.at
http://www.kunsthalle.at
Öffnungszeiten: Di - So und Mo wenn Feiertag 10-18 Uhr; in den Wintermonaten 10-17 Uh


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