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Pierre Bismuth. Der Kurator, der Anwalt und der Psychoanalytiker: Ruhm und Material

Der Titel der Personale von Pierre Bismuth in der Kunsthalle Wien „Der Kurator, der Anwalt und der Psychoanalytiker“ mag besagen, dass dem französischen Künstler der vertrackte Fluss der Relationen zwischen Vorstellbarem, Realem und Imaginären als auch Handlungen zwischen ihm und dem Publikum nicht gleichgültig sind. Der Anfang Bismuths (geb. 1963) Kunstschaffens verbindet sich mit dem künstlerischen Paradigmenwechsel und der Verbreitung der Theorie der „Relationalen Kunst“ in den 1990er Jahren, laut der die Kunstformen durch Intersubjektivität, Dezentrierung des Autorensubjekts sowie demokratisierende Polyphonie der Stimmen, Stile und Sichtweisen gebildet werden sollten. In der Ausstellung, die 60 Werke des Künstlers aus dem Zeitraum von 1988 bis heute umfasst, überschneiden sich nicht nur die Grenzen zwischen den Kompetenzen eines Künstlers und Kurators, sondern es werden in die Ausstellungspraxis rhizomartig auch die Interpretationen seiner Arbeiten durch andere Mitspieler des Kunstbetriebs – eines Anwaltes und Psychoanalytikers – montiert. Das Ergebnis ist sozusagen ein soziales, partizipatorisches Kunstprojekt. Dem Publikum werden also bei der Betrachtung der einzelnen Exponate diesmal gleichzeitig auch Betrachtungen der eingeladenen Persona zur Wahl ihrer Lieblingswerke, serviert auf Werkbeschriftungszetteln. Über die „Newspaper“ Serie, die auf Titelseiten verschiedener Zeitungen immer zwei identische Bilder nebeneinander zeigt, können wir über die Faszination des Doppelten nachlesen, die Freud als pathologisch und „extreme Form der Regression“ bezeichnete. Zum Thema Doppelt gibt es auch eine die Autorenschaft dekonstruierte Doppelprojektion „The Party“: Hier werden getrennt auf einem Monitor nur lautlose Bilder des Kultfilms von Blake Edwards und an der Wand diesen Film beschreibende Texte einer Stenotypistin, die den Film nur vom Hören des Soundtracks kennt, in Form der Untertitel gegenüberstellt. Die freie Übersetzung lässt offensichtlich eine andere parallele Realität zu, die der Ohnmacht der Worte bzw. ihrem Gegensinn entspringt. Bismuths Ausstellungstitel spielt auch auf Peter Greenaways schwarze Komödie „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ an. Im Massenmedium Film erlangte Bismuth auch seine ersten internationalen Erfolge, als er mit Ch. Kaufman und M. Gondry 2005 einen Oskar für das beste Originaldrehbuch für „Vergiss mein nicht!“ erhielt. Während Greenaway sich die Kunst in seinen Filmen meist anhand ihrer überdrehten Künstlichkeit und dem kritischen Reflexionspotenzial aneignet, bildet für den Franzosen der Film „eine kulturelle Maschine“, im Sinne Adornos, die mit vielen Künstlern und Personen sowie mit der breiten Öffentlichkeit zusammenwirken muss, um entsprechenden Erfolg zu haben. Die Methode des Künstlers versucht, diese breite Öffentlichkeit anzusprechen. Sie ist die Grundlage seines multimedialen, „festgeschriebene Bedeutungen und Wahrnehmungen untergrabenden“ (Pressetext) Oeuvres, in dem er etablierte Zeichenregulierungen und Konventionen in Serien und zeitlichen Intervallen kontinuierlich seziert und aktualisiert. Damit lotet er zugleich die Grenzen künstlerischer Freiheit aus und schafft ein komplexes Durcheinander, welches ästhetische Systeme dereguliert. Da Pierre Bismuth die Werke anderer (zumeist sehr bekannter) Künstler, Filmemacher oder Architekten benutzt und sich dadurch ständig an dem schmalen Grat der Verletzung des Urheberrechts bewegt, benötigt er stets die Beratungstätigkeit eines Anwalts (Laurent Caretto). Zum Beispiel wenn er Corbusiers kanonische Villa Savoye parodistisch und als Hommage an den Architekten zu „Complex de Villas“ umwandelt. In seiner bekanntesten seriellen Arbeit „Following the right Hand of... “ verwendet er, diesmal von Henri-Georges Clouzots Film „Le mystère Picasso“ ausgehend Filmaufnahmen legendärer Persönlichkeiten, darunter viele Stars wie Monroe oder Garbo, aber auch Psychoanalytiker wie Freud oder Lacan, und zeichnet auf transparenter Folie graphische Linien, voller Komplikationen und Schnörkel, die das automatische Schreiben evozieren, als folge er einem Geheimcode, der unsere unbewussten Reflexe und Gesten auslöst. Als etwas Neues erscheinen ebenso, rätselhaft oder auch entblößend Gesten und Posen der reproduzierten lasziven Nacktmodelle, derer Intimzonen der Künstler mit weißen Garderobeteilen scheinbar „barmherzig“ - wie der Psychoanalytiker (Angel Enciso) meint - gegen ein alles überrollendes Sexualisieren verhüllt hat. Ob seine „Collages for Men“ diesen und den Models einen Gefallen tun, bleibt zweifelhaft. Unter vielen Arbeiten dieser Ausstellung, die das Kommerzkino mit Fragestellungen der Kunst einschlägig und abwechslungsreich versöhnen, sind seine zwei neuen Werke durch ihren cineastischen Schwung nicht zu übersehen. Und wie oft bei diesem Künstler wirken sie einmal voll, einmal leer. Eine davon ist die zentral platzierte skulpturale „Transformation “ - sozusagen Bismuths kulinarische Kreation in Form einer Plastiktransformationsmaschine, die aus dem in daneben liegenden Säcken pulverisierten Polyethylens nicht besonders ansehnliche kackbräunliche Spaghettihäufchen rundherum verstreut. Die Krönung des ganzen Parcours bilden die hoch über die Ausstellung auf den Seitenwänden in vielen Farben gesprayten Namen der anscheinend berühmten Kunstschaffenden der Gegenwart wie z.B. Pierre Huyghe, John Currin, Paulina Olowska und viele mehr. Sind aber diese bildenden KünstlerInnen wirklich so etwas wie „famous“ oder „celebrated“? Streben sie unmittelbar danach? Müssen sie überhaupt berühmt sein, um zu bestehen, wie die Akteure der Musik- oder Filmbranche, wo durch Massenpublikum Stars hervorgebracht werden? Bereits für Warhol bedeutete Berühmtheit Material und Projekt, die bloß einen künstlerischen Kontext entstehen ließen, in dessen Rahmen der Künstler den Zeitgeist diagnostizieren oder sabotieren konnte. Bismuth mag uns zum Abschluss oder zum Beginn seiner späten ersten Personale nichts anderes vermitteln, als dass keiner von diesen KüntlerInnen wirklich berühmt sei, weil es sich hier um zeitgenössische Kunst handelt. In der Kunstwelt scheint der Ruhm ein erstrebenswertes Defizit zu sein. Pierre Bismuth weiß es zu schätzen.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Pierre Bismuth. Der Kurator, der Anwalt und der Psychoanalytiker
04.02 - 22.03.2015

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


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