Werbung
,

Rare Earth: Unter dem Zeichen der Ausbeutung

Ein ambitioniertes Projekt, das sich allerdings mehr als Konstruktion, denn als Statement auffaltet. Der Funke ungetrübter Begeisterung möchte nicht so recht überspringen, obwohl eine spannende Frage, nämlich die nach Leitbegriffen, Vorstellungen und Realitäten, die für unsere Epoche jetzt stehen, das Ausgangsmoment bildet. Vom Primat der Ökonomie ausgehend, würde man bald auf die Troika kommen, auf gemachte Massenarmut oder zunehmende Migration. Genauso bestimmend wäre die Tatsache umfassender digitaler Kontrolle. Technologisch manifestiert sich dies auf der Ebene der Kommunikation per Smartphone oder Tablet, wobei die ausgebeuteten Rohstoffe zu deren Herstellung eine zentrale Rolle spielen. Das Ausstellungskonzept des Künstlers und Kurators Boris Ondreička gemeinsam mit Nadim Samman geht von der enormen Bedeutung genau dieser seltenen Metalle aus. In News-Meldungen werden Terbium, Lanthan oder Praseodym kaum genannt. Die insgesamt 17 »Rare Earth Elements« sind aber wichtig für prägende technische Innovationen in der Medizin wie auch umgekehrt in Waffensystemen oder der Reaktortechnologie. Yttrium war in Verbindung mit Kobalt für den Bau von Fernsehbildröhren wichtig. Terbium hingegen wirkt heute mit bei der Erzeugung weißen Lichts auf LCD-Bildschirmen. Leicht zu verstehen ist somit, dass die Rare Earth Elements auch als Konfliktmaterialien bezeichnet werden. Deren zunehmende Ausbeutung dynamisiert den Kampf um globale wirtschaftliche Vormachtstellungen. Versuch einer Zeitdiagnose Mit diesem ernst zu nehmenden Versuch, von Materialien und Produktionsprozessen ausgehend eine Zeitdiagnose zu formulieren, knüpft die Thyssen-Bornemisza Art Contemporary an ökologisch, gesellschaftskritisch orientierte Projekte wie »The Sovereign Forest« im Winter 2013/14 an. Während damals ein durchgehender konziser Erzählstrang durch die Ausstellung von Anwar Kanwar führte, sind die einzelnen künstlerischen Ansätze hier jedoch zu weit auseinanderliegend, um eine durchgehende Narration aufzubauen. Außerdem spielen auch Mythenbildungen und kulturelle Motive eine Rolle. Wissenschaft ist mit Bildern von Alchimie, mit Experiment und Unwägbarem verbunden. Eine spannend wirkende Installation mit Laborcharakter von Marguerite Humeau greift dies auf, indem sie sich auf eine okkulte Erzählung von H. P. Lovecroft bezieht. In dem Ensemble organisch-technoider Skulpturen wird zudem der Klang einzelner Metalle über Verstärker hörbar. Sehr zurückgenommen, doch mit umfassender Wirkung im Raum arbeitet Julian Charrière, der mit Lithium beschichtete Glasplatten an den Fenstern des ehemaligen Ambrosi-Ateliers, wo die TBA-21 sich befindet, anbrachte. Es entsteht ein ähnlicher Effekt wie im Inneren von Kirchen oder Forschungsräumen. Lithium wird häufig in Verbindung mit den „seltenen Erden“ verarbeitet. Die meisten der KünstlerInnen sind knapp über 30 und waren bereits in prominenten Institutionen vertreten. Viele verfolgen grundsätzlich ökologische Themen oder stellen in ihrer Arbeit Fragen nach dem Material. Ein Konzentrat dessen ist die in Farbschichten gedruckte janusköpfige Büste des Sun Tzu von Oliver Laric. Sun Tzus 2500 Jahre altes Buch von der »Kunst des Krieges« gilt bis heute als populäre Anleitung zum Sieg in allen möglichen Bereichen zwischen Management und Dating. Der tiefernste Blick des Philosophen in zwei Richtungen rückt die Skulptur ob ihrer Trivialität in die Nähe des Absurden. Nach dazu arbeitet Laric mit dem geschäumten Kunststoff Polyurethan. Ganz plausibel wirkt es nicht, dass die Skulptur hier vorkommt, thematisiert sie doch noch soviel anderes – die Künstlichkeit geschichtsträchtiger Symbole etwa. Der in London lebende Iain Ball wiederum packt etwas zu viele Bedeutungen in sein extra für diese Schau produziertes Werk. Wie ein Schaukasten in einem Zoo wirkt es, darin sonnt sich eine lebende Echse unter einer Neodymium-Lampe. Dazu ein archaisches Sonnenkreuz, das für alles Mögliche stehen soll: für antikes Schamanentum, für Techno-Kultur und für den Ausverkauf eben solcher Symbole als billiger Schmuck. Balls Text dazu wirkt mystagogisch. Wenn er darin das grauenhafte Ticken der Uhr als Produkt des Kapitalismus bezeichnet, übersieht er, dass die Rhythmisierung des Alltags bereits durch den disziplinierenden Glockenschlag der katholischen Kirche eingeführt wurde. Zwischen Technomüll und Ausbeutung Etwas steril und vielleicht auch zu einfach wirkt die Arbeit von Revital Cohen & Tuur Van Balen. Die beiden arbeiten an einem Projekt über die Plünderung von Coltan in der Republik Kongo, wo schon im 19. Jahrhundert die brutale Politik von Leopold II. und der Kautschuk-Abbau mehr als 10 Millionen Tote zur Folge hatte. Heute wird aus dem Erz Coltan das seltene Tantal gewonnen. Verwendet wird dieses für Kondensatoren, Digitalkameras, Laptops, Flachbildschirme und Mobiltelefone. Wir selbst tragen also die Spuren von Ausbeutung und Kinderarbeit, die mit Coltan-Gewinnung zu tun haben, tagtäglich in unseren Hosentaschen. Nur entfernt jedoch erinnert die Arbeit an derart ungeheuerliche Tatsachen, wenn das Künstlerduo illustrativ mit dem Abbau von der umgekehrten Seite beginnt und dabei einen Haufen zerstörter Festplatten hingeworfen als Technomüll präsentiert. Wesentlich spannender ein Video der Otholit Group, wo die für die LCD-Bildschirm Technologie wesentlichen Flüssigkristalle ein Eigenleben bekommen. Das menschlich Geschaffene verselbständigt sich in der Inversion. Doch unter dem Dach des gemeinsamen Themas entsteht kein konzises Bild. Allein zwischen dem konzeptuellen Statement eines Ai Wei Wei und dem kosmologischen Rare Earth Mandala einer Suzanne Treister liegen ganze Universen. Die engagierte Idee, einen aktuellen Befund zu formulieren, reißt in Segmente singulärer Einzelwerke auf. Manche wirken konzise durchgeformt, manche hingegen zu sehr gekünstelt und konstruiert. Die Ausstellung mit ihrem hochinteressanten Ansatz wirkt zu angespannt. Etwas hingegen muss auf jeden Fall positiv verbucht werden; nämlich die Bereitschaft, in die Kunstproduktion und somit in die Neukonzeption und Herstellung von Arbeiten relativ junger KünstlerInnen finanziell zu investieren. Zehn der siebzehn gezeigten Werke entstanden eigens für dieses Projekt. Viel zu wenige Institutionen verfolgen eine solche Herangehensweise, aus der sichtbare Vorschläge für die Zukunft entstehen können.
Mehr Texte von Roland Schöny

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Rare Earth
20.02 - 31.05.2015

TBA21 Augarten
1020 Wien, Scherzergasse 1A
Tel: +43 1 513 98 56 – 24
Email: exhibitions@TBA21.org
http://www.TBA21.org
Öffnungszeiten: Di-So 12 - 19 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: