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Gregor Schneider - unsubscribe: Im Schutt der Erinnerung

Die Konfrontation mit Extremen ist seit Beginn seiner künstlerischen Arbeit in den 1980er Jahren ein Leitmotiv Gregor Schneiders. Das Haus - die Behausung - bildet den Widerpart des Leibes, wo sich ein Stück weit das Seelische ausbildet. Diese primäre Selbstexposition hat Schneider (*1969 in Rheydt) in seiner Versuchsanordnung "Totes Haus u r" an seinem Heimatort nicht nur selbst erkundet, sondern in verschiedenster Form im Kontext der Kunst öffentlich zugänglich und erfahrbar gemacht. Wo in früheren Arbeiten Räume konstruiert wurden, in denen nicht selten kleinbürgerliche Interieurs, aber auch Gefängniszellen von Internierungslagern nachvollziehbar wurden, widmet sich "unsubscribe" einer Dekonstruktion. Schneider konnte unlängst das Geburtshaus Paul Joseph Goebbels erwerben, der als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda an der Seite Adolf Hitlers mutmaßlich zum bekanntesten Bürger der niederrheinischen Kleinstadt Rheydt wurde, deren Name, nach einer Fusion mit der größeren Nachbarstadt Mönchengladbach, zunehmend aus dem Gedächtnis verschwand. Gregor Schneider setzte sich diesem Gebäude aus, nahm Mahlzeiten zu sich, schlief darin, erforschte noch vorhandenes Hab und Gut und begann anschließend mit der Entkernung. Ein Teil des Interieurs ist seit Ende November in der Nationalen Kunstgalerie Zacheta in Warschau ausgestellt. Zur Eröffnung der Schau stand vor dem Gebäude ein LKW, in dem der Schutt aus dem Inneren von Rheydt aus an die Weichsel transportiert worden war. Nach der polnischen Hauptstadt ist dieser LKW nun vor der Volksbühne in Berlin abgestellt. Von einer Tribüne aus können die Trümmer betrachtet werden, die keinerlei sichtbare Spuren ihres ehemaligen Bewohners tragen. Zwischen Tapetenresten, Holz und Fliesen erscheinen hier und da Gebrauchsgegenstände und es stellt sich die Frage, welcher Art die Erfahrung ist, die Gregor Schneider hier ermöglicht. Das Innerste nach Außen zu tragen ist ein Akt zwischen Geständnis, Beichte und diagnostischem Gespräch. Die stummen Zeugen des Geburtshauses dokumentieren eine stupende Banalität, im Sinne Hannah Arendts. Diese Banalität ist das eigentliche Tabu im Rahmen von "unsubscribe", in der keine Aura des Bösen sichtbar wird, die quasi substanziell von ihrem ehemaligen Bewohner in das Baumaterial übergegangen ist. Das wäre magisches Denken. Allein der Ausstellungstitel in Frakturschrift, die bis zu ihrem Verbot 1941 im Deutschen Reich gebräuchlich war, generiert mit dem zeitgenössischen Begriff "unsubscribe" einen atmosphärisch anmutenden Anachronismus. Die Austragung aus einer Liste wird hier gleichgesetzt mit der Entwohnung eines Hauses, dem die historischen Ereignisse von 1945 die sonst so häufige Transformation in eine historische Andachtsstätte verwehrten. Man könnte den Teilabriss des Goebbels'schen Geburtshauses auch als Akt einer ausgleichenden Gerechtigkeit ansehen. Wohl nicht ganz zufällig wurde die Doppelstadt Gladbach-Rheydt 1940 das erste Ziel eines alliierten Luftangriffs im Deutschen Reich. Auf der anderen Seite steht Warschau, das ab 1944 systematisch von der Deutschen Wehrmacht zerstört wurde. Der künstlerische Prozess selbst führt letztlich aber durch die symbolische und historische Dimension hindurch zur existenziellen Klammer von Geburt und Tod und dem dazwischen liegenden Vorgang des Werdens und Vergehens, die Schneider im Architektonischen aufspürt und in ihrer beklemmenden Kraft spürbar macht.
Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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Gregor Schneider - unsubscribe
05.12.2014 - 02.01.2015

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