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Inwendige Zinnen

Zum drohenden Verkauf einer Skulptur in Münster Andy Warhol war der Auftakt. Seine Bildwiederholungen in farbigem Siebdruck sind Paraphrasen auf die Welt der Duplikate und die Konsequenzen von Reproduktion und wirtschaftlichem Verwertungsdenken. Dass die Wertsteigerung solcher Bilder famos ist, ist hinlänglich bekannt. Und dennoch hat die jüngste Versteigerung zweier Warhol Gemälde aus dem ehemaligen Besitz der West LB einiges Aufsehen erregt. Nicht nur in NRW. Die Museumsdirektor/innen wehrten sich, erfolglos zwar, aber immerhin mit erheblichem Medienecho. Die Misere scheint aber kein Einzelfall zu bleiben. Nun geht es einer Skulptur an den Kragen. Und noch dazu im öffentlichen Raum und mit Bezug zu Ort und Umraum. Eigentlich unglaublich. Auch dieses Objekt von Eduardo Chillida gehörte der West LB und zählt zu ihren verbleibenden Aktiva. Jede Verwertbarkeit müsse geprüft werden, lässt eine Konzernsprecherin wissen. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans (SPD), assistiert. Ein unmittelbarer Zugriff des Landes sei ausgeschlossen, weil es sich um eine gegenüber dem Land eigenständige juristische Person handle. Von Seiten der Politik wird darauf verwiesen, dass die Entscheidung bei den Gremien des Nachfolgeunternehmens der Bank liege. Verschwiegen wird, dass die Portigon AG eine hundertprozentige Tochter des Landes ist und ergo durchaus im Verfügungsradius politischer Entscheidung liegt. Die Skulptur, die nun im Besitz der Gesellschaft ist, steht seit 1993 vor Ort, sie betitelt sich „Toleranz durch Dialog“. Chillida hatte zwei Bänke aus rostrotem Cortenstahl entworfen. Es sind horizontale Rahmen, mit inwendigen Zinnen und kantigen Durchsichten. Die Bänke wurden der Stadt Münster von der West LB seinerzeit als Dauerleihgabe überlassen. Das Wichtigste aber: Das Werk mit archaischer Anmutung ist konkret verortet. Dass Warhol durch die Welt wandert, und seine Besitzer wechselt, wundert nicht. Es sind die Gesichter der Verwertungskreisläufe, die er mit seiner Ästhetik sogar induziert. Dass Skulpturen in situ nun als handelbares Wirtschaftsgut gesehen werden, ist allerdings bedenklich. Chillidas Werk wurde im Rathausinnenhof von Münster zu Erinnerung an den Westfälischen Frieden errichtet. Der Friedensschluss hatte die Zerrüttung Europas nach dem 30-jährigen Krieg, lange Jahre der Verwüstung und Plünderung beendet. Aber um Geschichte geht es anscheinend nicht, nur um lastenfreie Zukunft.


Eduardo Chillida, Toleranz durch Dialog, Foto: Rüdiger Wölk, © Bildrecht, Wien 2014

Eine klare Positionierung wäre dennoch längst angemessen. Die öffentliche Hand ist aufgerufen, ihre Stellung zu Kunst und Auftrag zu überdenken. Chillida ist nicht das erste Mal Gegenstand einer Kontroverse. Die Skulptur vor dem Bundeskanzleramt in Berlin, die 2000 unter Anwesenheit von Bundeskanzler Schröder und Frau Chillida enthüllt wurde, stellt zwei Zangen dar, ähnlich denen, die der baskische Künstler in die Küstenfelsen seiner Heimat schweißte. Anders, als man vermuten würde, wurde das zur TV-gerechten Sehenswürdigkeit aufgestiegene Skulpturenpaar jedoch nicht vom Staat beauftragt sondern von privater Hand gestiftet. Ein in München ansässiger Sammler und Herausgeber einer Apothekenzeitschrift hatte es bezahlt. Trotz beschönigender Eröffnungsreden („Es wird die Bild-Ikone für das vereinigte Deutschland werden“, so Kanzler Schröder) und einiger staatszeremonieller Fotos mit spanischem Königspaar und Honoratioren konnte der Verdacht nie entkräftet werden, die Wahl erfolgte aus ökonomischer Rentabilität. Wie auch immer, ob für oder gegen Chillida, Staat und Länder stehen offenkundig nur zu Monument und Denkmal, wenn Corten und Kunst kostenfrei bleiben.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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