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Kunstmarkt heute: Der Preis der Daten

Ein international aktiver Künstler berichtet: GaleristInnen wären immer häufiger mit folgender Situation konfrontiert: Nach der Preisauskunft zückt die Kundschaft das Smartphone, tippt herum, bietet ein Drittel des genannten Preises und bezieht sich dabei auf ein Auktionsergebnis, ein Ranking oder ein anderes (Informations)angebot aus den Tiefen des Datenraums. Die anekdotische Szene illustriert einen tiefgreifenden Wandel des Kunstmarkts, der im digitalen Zeitalter angekommen scheint. Im Unterschied zu anderen Branchen vollzieht sich der Wandel hier nicht über die Digitalisierung des Produkts – wie für Film, Musik und Buch –, sondern über die Veränderung der Informationslandschaft. Dies geschieht in Verbindung mit einer globalen Ausweitung von Angebot und Nachfrage. Kunstdatenbanken, Auktionsarchive und Social-Media gehen dabei Hand in Hand mit dem Onlinehandel und einer globalen Ausweitung des Messesystems. Eine Schlüsselrolle in der schönen, neuen Kunstmarktwelt spielen Preisdatenbanken und verschiedene andere Versuche über Indizes und Rankings zu einer Mathematisierung des Marktgeschehens beizutragen. Die Ausrichtung an den Bedürfnissen der Finanzwirtschaft spielt eine wesentliche Rolle: Die Anforderungen für die legitime Bewertung von Vermögen sind im Zuge der diversen »Blasen« der jüngeren Vergangenheit weltweit gestiegen. InvestorInnen benötigen solide Fakten für die Bewertung ihrer verschiedenen Anlageklassen. Insbesondere wenn sie daran denken, Teile ihres Vermögens zu verkaufen, oder als Sicherheit in Finanzierungsgeschäfte einzubringen, sind Nachweise für bisweilen nur behauptete Werte fällig. Zugleich müssen sich jene absichern, die – z.B. als Privatbanken oder Fonds – ihren Kunden den Ankauf von Kunst empfehlen. Allen Beteiligten dieser Anlage- und Finanzierungsszene ist somit mit Werkzeugen gedient, die eine Versachlichung der Preis- und Wertfestsetzungen im Kunstsystem zumindest versprechen. Dabei hat Information ihren Preis. Artprice, nach eigenen Angaben »Weltmarktführer für Kunstmarktinformationen«, verlangt für EinsteigerInnen 24 Euro für 24 Stunden. Für EinzeluserInnen mit unlimitiertem Zugang kostet das Service 415 Euro jährlich. Geboten werden Auktionsergebnisse seit den 1980er Jahren, KünstlerInneninformationen und Indizes, wie einen »Artmarket Confidence Index«, der ausgerechnet im letzten Monat von 25 auf 15 gesunken sein soll. Artnet, ein anderer Anbieter im Kunstmarktdatengeschäft, startet sein Angebot bei fünf Abfragen für 29,50 Dollar und steigert den Preis für die Ware Information auf 1.986 Dollar im Jahr für bis zu 1.000 Preisabfragen. Der Index ArtRank verkauft zwei Wochen vor seiner Veröffentlichung jeweils 10 »Early Bird«-Exemplare seiner Erkenntnisse – »just in time for Art Basel Miami« – für 3.500 Dollar. In allen Fällen ist zur Preisgestaltung zu sagen, dass die Kosten in einer Welt, in der fünfstellige Preise als »günstig« bezeichnet werden, wohl nicht allzu sehr ins Gewicht fallen werden. Einen Gratiseinblick in die Welt der oberen Zehntausend ermöglicht ein Informationsprodukt aus dem Hause Skate´s, gegründet vom ehemaligen Viennafair-Miteigentümer Sergey Skaterschikov. Die frei zugängliche Liste der »Skate´s Top 10.000« versammelt die zehntausend teuersten Kunstwerke, soweit sich dies auf der Basis öffentlicher Auktionen feststellen lässt. Das aktuell »billigste« Werk auf dieser Liste mit einem Gesamtwert von derzeit 48 Milliarden Dollar ist Vincent van Goghs »Die Näherin beim Fenster«, für das ein Verkaufsergebnis von »nur« 1.493.831 Dollar aus dem Jahr 2008 angeführt wird. In den Kommentaren die Skate´s mit der Liste publiziert, wird deutlich, dass auf dieser Ebene jene Kennzahlen im Vordergrund stehen, die Finanzmärkte zur Rationalisierung ihrer Risiken benötigen. Dabei geht es neben der Ermittlung des Werts insbesondere um die »Liquidität« eines Markts, also um »die Fähigkeit, im Markt ein Wirtschaftsgut schnell gegen ein anderes zu tauschen«, wie die Wikipedia-Definition lautet. Diese Möglichkeit zum schnellen Verkauf ist eine notorische Schwachstelle des herkömmlichen Kunstmarkts, weswegen der »Finanz-Kunst-Markt« versucht, das Verkaufsrisiko durch Preistransparenz, neue digitale Handelsplattformen und niedrigere Verkaufsprovisionen zu minimieren. Erleichterte Verkaufsmöglichkeiten stabilisieren wiederum die Werte der Werke und damit ihre Eignung als Eigenkapital und Kreditbesicherung. Wenn Skate´s also über die letzte Woche spricht, in der bei Christie´s unter anderem zwei Warhols (aus dem Besitz einer landeseigenen Glücksspielgesellschaft mit dem schönen Namen »Westspiel«) versteigert wurden, klingt das dann so: »In many ways, this week was the Warhol week – 18 artworks out of 138 priced within the Skate’s Top 10,000 range were by Warhol, confirming outstanding breadth and liquidity of Warhol market, now by far the world’s second largest after Picasso ($2.7 billion for Warhol and $4.1 billion for Picasso). As it is the case with Picasso market, the market for Warhol works offers something that most of the other artist markets do not – liquidity.« Wer solche Zeilen als Beleg dafür liest, dass der Stellenwert kritischer Kunstbetrachtung gegenüber den jeweiligen Markteinschätzungen in den Hintergrund tritt, wird auch skeptisch auf die Nachricht reagieren, dass der datenverliebte Analytiker Skaterschikov das Kunstmagazin »ARTnews« gekauft hat, übrigens nur Wochen bevor das »Art Newspaper« von der russischen Mathematikerin, Unternehmerin und Sammlerin Inna Bazhenova gekauft wurde. Auf die vielfältigen Verflechtungen des Informationssektors mit Kunstmessen und Onlinehandelsplattformen kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Hier schließt sich der Kreis zu den Smartphones in der Hand der Kaufwilligen: Information in allen Formen war immer Treibstoff für das Marktgeschehen. Immerhin feiert der »Kunstkompass«, einer der frühesten Indexversuche im Bereich aktueller Kunst, in diesem Jahr bereits seinen vierundvierzigsten Geburtstag. Ob Documenta-Teilnahmen, Auktionserfolge oder Ankäufe durch renommierte Institutionen, seit jeher flossen alle diese Fakten – neben der kunsthistorisch-kritischen Bewertung – in die Wertfestsetzungen des Kunstmarkts ein. Dies ist altbekannt. Neu ist der Umstand, dass die Tiefe der Information an allen Orten, in Echtzeit und in schnell wachsender Fülle zur Verfügung steht und sich damit der Kreis der Wissenden vergrößert. Vor unseren Augen entsteht ein datengetriebener Kunstmarkt, dem die Börse eher als Vorbild dient als der Salon.
Mehr Texte von Martin Fritz

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