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Canaletto - Bernardo Bellotto malt Europa: Hybride Perspektiven

Der Sechsspänner legt sich arg in die Kurve. Der Passagier muss ein besonderer Herr sein. Ist es die Fliehkraft, die ihn beinahe hinaus purzeln lässt? Das ist nicht zu entscheiden, sieht allerdings verhalten komisch aus. Der Betrachter erblickt die Szene aus dem Fenster des "Jüdenhofes". Der Blick schweift über den Dresdner Neumarkt. Im Hintergrund sieht man die erst vor sechs Jahren, 1743, vollendete Frauenkirche. Der Platz scheint groß und weit zu sein. Der beinahe Verunfallende ist der Auftraggeber, der Große Kurfürst und König von Polen, August III. Ein gemalter Witz? Wohl kaum. Man fragt sich, wie solch ein Bild im Jahr 1749/52, der Entstehungszeit des Gemäldes von Bernardo Bellotto, gewirkt haben muss. Willkommen im Zeitalter der Aufklärung. Aus italienischer Sicht wird sie subtil unterhaltsam. Es ist eine dieser wunderbaren kleinen Kunstgeschichten, die mit dem Werk dieses Venezianer Vedutenmalers und Landschafters verbunden ist. In der Alten Pinakothek in München kann man weiteren Anekdoten und vor allem Forschungen anhand einer Künstlerpersönlichkeit nachgehen, die zwar in jeder bedeutenderen Sammlung vertreten ist, aber in Deutschland wohl noch nie so ausführlich und in die Tiefe gehend dokumentiert worden ist. Bernardo Bellotto, der – wie sein Onkel Antonio Canal – gleichfalls Canaletto genannt wird, lebte von 1722 bis 1780. Man denkt bisweilen, dass Veduten, also gemalte Stadtansichten, lediglich Dokumente einer Topo- oder Geografie sind. Diese filigranen Bilder eines Antonio Canal oder Francesco Guardi, die jedes noch so kleine Fensterkreuz, jeden zerbrochenen Ziegel zeigen, entstanden schließlich zu einer Zeit, als es noch keine Fotografie gab. Natürlich sollte festgehalten werden, wie eine Stadt sich zeigte. Doch der Schein trügt. Das belegt diese fantastische Ausstellung mit gut 65 Gemälden, Radierungen und Zeichnungen. Während des Siebenjährigen Kriegs der Maler auf Empfehlung seiner Dresdner Gönnerin, der Kurfürstin Maria Antonia von Bayern und Gemahlin von August III., ein knappes Jahr in München. Zwar haben die Wissenschaftler in den Archiven nicht mehr allzuviel über seinen Aufenthalt herausgefunden, aber da sind ja die drei kapitalen Stücke, die im repräsentativen Kurfürstenzimmer der Residenz bis heute ihren Platz haben: Schloss Nymphenburg von der Stadt aus und von der Parkseite sowie der Blick auf München von Osten. Mit über zwei Metern Breite offenbaren sie höfisches Format. Die Bilder sind Aufträge von Max III. Joseph – und zwar genau für diesen Raum, ein Wartezimmer für Edelleute, die dort auf ihren Termin mit dem Herrscher warteten. Das ist ein typisches Signum der Malerei von Bellotto. Herrschende in kuriosen Situationen, Armut der Bevölkerung: eine neue malerische Ehrlichkeit, ebenso ehrlich wie die Exaktheit der Details. Die Ausstellung lehrt über die gezielte, trefflich kalkulierte Künstlichkeit der Vedute zumeist mit absolut frisch anmutenden Exponaten. Den beiden Zeichnungen aus der Sammlung der britischen Queen etwa sieht man ihr Alter nicht an. Sie könnten gestern erst entstanden sein. Julia Thoma, die neben Theresa Wagner die Ausstellung wissenschaftlich mitbegleitet hat, berichtet: "Diese Arbeiten wurden bislang nur sehr selten gezeigt." Der Maler Bellotto hat sein Genre aufs Kunstvollste übersteigert. Malte er für die Fürsten noch Veduten, tobte er sich auch intellektuell im kleineren, bürgerlichen Format in der Landschaft und im Capriccio, der "Laune", aus. Das ließ selbst Kurator Schumacher begeistert deklamieren: "Mit Blick auf die Landschaft ist Bellotto Avantgarde." Doch besonders seine Fantasiestücke sind Kern seines Schaffens und betreffen nicht erst die Zeit nach Dresden, bevor er spät noch einmal an den Warschauer Hof kam, der letzten Station seines bewegten Lebens. Wunderbar das kleine Kabinettstückchen aus dem Stadtmuseum von Asolo im Veneto, das eine Triumphbogenruine an der Lagune zeigt (1743). Bellotto war ein Kompositeur außerordentlichen Ranges. Er nutzte die Camera Obscura mit nonchalanter Selbstverständlichkeit und fügte hybride Perspektiven mit mehreren Fluchtpunkten zueinander, dass man den Eindruck einer wirklichen Welt bekam, obschon die Bildgegenstände in dieser Komposition die reine Fiktion sind. Plätze werden größer, Flüsse breiter. Mehr Licht fällt unnatürlich für den, der das Setting kennt. Bernardo Bellotto war wohl eher den Lesern der Propyläen-Kunstgeschichte oder regelmäßigen Besuchern von Sammlungen Alter Meister ein Begriff. Das hat hoffentlich mit dieser großartigen Ausstellung, zu deren Gelingen so prominente Leihgeber wie das Kunsthistorische Museum Wien, die St. Petersburger Hermitage oder das Amsterdamer Rijksmuseum beigetragen haben, ein Ende, denn der Künstler verdient mehr. Dass er nun an der Isar so prominent zu genießen ist, gleicht einem großen Fest. Außerdem rückt der Maler mit seinem Metier in andere Gefilde auf. Kein sklavisch operierender Diener an der Wirklichkeit ist hier zu erleben, sondern einer an der Schönheit und Wahrheit – letztere jedoch nichts mit Richtigkeit oder Treue dem Sichtbaren gegenüber zu tun hat.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Canaletto - Bernardo Bellotto malt Europa
17.10.2014 - 18.01.2015

Alte Pinakothek
80333 München, Barer Straße 27
Tel: +49 (0)89 23805 216
Email: presse@pinakothek.de
http://www.pinakothek.de/alte-pinakothek/
Öffnungszeiten: Di. von 10 bis 20 Uhr, Mi. bis So. von 10 bis 18 Uhr. Mo. geschlossen


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