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Ein Nachmittag in Chur

Annen, Kielholz und ein namenloser Sammler Auf dem Rückweg einer Wanderwoche in Graubünden Zwischenstop im Bündner Kunstmuseum Chur gemacht. Mit viel Vorfreude auf Heiner Kielholz. Dort angekommen gab es auch noch Giro Annen und eine unglaublich umfangreiche Ansammlung von Zeichnungen zu entdecken. Doch der Reihe nach. Mit Giro Annen wird im Erdgeschoss des Kunstmuseums ein Klassiker einer konzeptuellen Landschaftsfotografie praesentiert. Der aus Chur stammende, in Bern lebende Künstler fotografiert seit den 1970er Jahren denselben Wasserfall. Mal als Ganzes, mal als Detail; im Sommer als auch im Winter. Was als Analyse eines Wasserfalls begann, hat sich mittlerweile zu einer Reflexion über das Immerwiederkehrende entwickelt. Und zu einer umfangreichen Dokumentation mit einer überaus variantenreichen Vielfalt. Eindrücklich beispielsweise Foto Nr. 5, welches inmitten scharf konturierter gefallener Blätter die sanft drehende Spirale des Wassers einfängt. Besonderes Augenmerk verdient auch die Dia-Projektion, die mittels 120 Dias über den Verlauf der Abenddämmerung hinweg die stete Veränderung des dahinschwindenden Lichts zeigt und somit den Wasserfall langsam der zunehmenden Verdunkelung aussetzt. Die in der Mitte der Ausstellungsräume platzierten Stelen wirken hingegen wie Fremdkörper. Geradezu störend wirkt die weisse rauhe Oberfläche des Betons gegenüber den sanften Tönungen der Schwarz-Weiss-Fotografie seines zeitlosen Motivs. Im Labyrinth des Untergeschoßes präsentieren sich unter dem Titel 'Leitlinien. Die Kunst des Zeichnens' rund 135 Zeichnungen unterschiedlichster Fertigungstechniken und mannigfaltigster Themen. Die frühesten mit Karl Kobell, Carl Blechen und Arnold Böcklin aus der 1. Hälfte bzw. Mitte des 19. Jahrhunderts, die spätesten von Dan Flavin, James Bishop, Sylvia Plimack Mangold und Fred Sandback aus den 1980er Jahren. Grössere Konvolute hat es von Ferdinand Hodler, Félix Vallotton, René Auberjonois, Otto Meyer-Amden, Sol Lewitt und Richard Tuttle. Rund um das zentrale 'Disegni' (1964) von Giulio Paolini platziert, finden sich immer wieder Trouvaillen wie eine 'Illustration zu den Canterbury Tales' von Heinrich Füssli, eine markante 'Concetto spaziale' (1948) von Lucio Fontana, die 'Leverwords' (1966) von Carl Andre, Ferdinand Hodlers 'Studie zu Genfersee mit Mont-Blanc Massiv' (1918), die zarte 'Natura Morta' (1961) des Giorgio Morandi oder eine feine 'Waldstudie' (1935) von Oskar Schlemmer. Walter Koschatzky hätte seine helle Freude gehabt. Leider haben heutzutage nur die wenigsten BesucherInnen die umfangreichen Kenntnisse dieses legendären Connaisseurs der Albertina. Wie also bringt man die Fülle an Wissen den BesucherInnen nahe? In der Ausstellung präsentiert Hausherr Stephan Kunz die Zeichnungen in Form von thematischen Konvoluten, wagt aber auch einige überraschende Gegenüberstellungen. Die Gruppierungen nach Themen wie Landschaft, Porträt oder die rein monografischen Räume sind die schwächeren dieser Ausstellung. Manche Gegenüberstellungen einzelner Werke hingegen sind ausdrucksstark und halten feine Anregungen bereit. Gut gelungen sind beispielsweise die Kombination der Zeichnungen von Dan Flavin mit den konstruierten Landschaftsskizzen eines Hans Brühlmann und Lucio Fontanas kraftvollem Raumzeichen oder auch die Gegenüberstellungen der Raster von Jan Schoonhoven, Agnes Martin und Sol Lewitt mit der kalligrafischen Struktur eines Henri Michaux. Eigentlich sehnt man sich mehr nach solch ungewöhnlichen und reizvollen Konstellationen im Sinne einer "Schule des Sehens!" wie es auf dem rückseitigen Buchumschlag des Katalogs zur Austellung angekündigt wird. In selbigem sind die Künstler in alphabetischer Reihenfolge geordnet und auch hier ergeben sich einige ungewöhnliche Gegenüberstellungen wie die räumliche Weite der vertikalen Linie (1967) bei Antonio Calderara vs. die horizontale Weite der 'Flußlandschaft' (1845) bei Johann Christian Dahl oder Félix Vallottons Rückenakt einer Sitzenden (1910/1915) vs. der gestisch-figurativen Abstraktion (1973) eines Bram van Velde oder Jan Schoonhovens schraffiertes Allover in 'T 71-13' (1971) vs. Louis Soutters expressionistisch dicht gezeichneter 'Vision de Chine' (1923/1930). Eine beeindruckende Sammlung wird da derzeit in Chur präsentiert. Der Sammlungskatalog enthält genaue Angaben zur Provenienz der einzelnen Kunstwerke, doch bleibt der Name des Sammlers den Besuchenden merkwürdigerweise vorenthalten. Im Obergeschoß füllt Heiner Kielholz mit seinen zumeist kleinformatigen Gemälden gekonnt die Räume aus. Im Gegensatz zur Ausstellung, die es im Kunstmuseum Winterthur 2006 zu sehen gab, werden in Chur nicht nur neuere Landschaften, Stilleben und Intérieurs gezeigt, sondern auch Werke seit den frühen 1980er Jahren. Durch zahlreiche Leihgaben lassen sich Verbindungslinien und die Wiederkehr von Motiven nachweisen, die Kielholz bereits seit damals beschäftigen. Die Ausstellung folgt einerseits einer gewissen Chronologie, faßt andererseits Themen grob zusammen und läßt dennoch genügend Räume für das spielerische Entdecken. So sind die Schwalben beispielsweise im Raum der Ornamente zu finden, leiten zugleich zur Formensprache der liegenden Akte im benachbarten Raum über. Oder das kleine Kabinett, welches zahlreiche Detailstudien wie ein Brettchen oder einen bulgarischen Löffel enthält und diese den Landschaftsstudien gegenüberstellt. Somit werden bereits die Kompositionen der Intérieurs des nachfolgenden Raumes vorweggenommen. Eindrücklich auch die Vielfalt der Wasserfälle und Bergbäche, die mal naturalistisch, mal ornamental wiedergegeben sind. Eine weitere Themengruppe, welche den 1942 in Rheinfelden geborenen "Reisemaler" Kielholz beschäftigte, sind geometrische Ornamente und deren räumliche Verkürzungen, die es malerisch wiederzugeben galt. In Chur ist zwar keine Retrospektive von Heiner Kielholz zu sehen, da seine Werke der Konzeptkunst und Arte Povera aus der Zeit der Aarauer Ateliergemeinschaft Ziegelrain von 1967 bis 1972 fehlen, dennoch bietet die Ausstellung einen guten Überblick und gibt Einblick in die Vielfalt und hohe Qualität seiner Malerei. Umso erstaunlicher ist es, dass in Chur von den 77 ausgestellten Werken immerhin 49 für den Verkauf frei gegeben waren. Auch dies wäre zu diskutieren, denn, kann es in einer Zeit des Umbruchs, in der Sammler und Händler gleichermaßen als Museumsgründer agieren und die Geschichte ihrer Künstler fleißig mitschreiben, Aufgabe des Museums sein, die Rolle des Verkäufers zu übernehmen? Stephan Kunz macht mit seinen Ausstellungen nicht nur neugierig, sondern stellt auch die traditionelle Rolle des Museums in Frage. Chur ist auf jeden Fall eine Reise wert. -- Bündner Kunstmuseum Chur www.buendner-kunstmusuem.ch Bis 31. August 2014
Mehr Texte von Harald Krämer

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