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Weltkrieg

Dutzende von Publikationen und Hunderte von Ausstellungen hat es zum Thema Kunst und Krieg in den letzten Monaten gegeben: konventionelle wie im Wiener Leopold-Museum, im von-der-Heydt-Museum in Wuppertal oder in der Bundeskunsthalle, die um 1914 kreisten; unkonventionelle wie Thomas Trummers „Les Gueules Cassés“ in der Kunsthalle Mainz; oder überraschende wie die Präsentation des Architekturmuseums in der Münchner Pinakothek der Moderne, die sich Städten widmet, die durch ihre Geschichte und ihre momentane Zerrissenheit Appelle an den Frieden darstellen. Hier nun mein Beitrag. Er erinnert an Franz Marc. Den Weltkrieg, der vor jetzt auf den Augenblick genau hundert Jahren begann, hat er nicht überlebt. Er wurde getötet, ermordert, er fiel auf dem Feld der Ehre und für das Vaterland. Im März 1913 waren er und seine Frau Maria für einige Wochen nach Südtirol gefahren, zur Inspiration und zur Erholung. Marc hatte gerade die aufregendsten Monate seines Künstlerdaseins hinter sich, gemeinsam mit Wassily Kandinsky war er die treibende Kraft der Gruppierung gewesen, die als „Blauer Reiter“ Kunstgeschichte der Welt geschrieben hat. Typisch für den Ungestüm dieser Zeit war derlei urbaner Elan dann auch gleich schon wieder vorbei, und Marc suchte das Idyll. Ländlichkeit sollte Einzug halten in sein Metier, entsprechend tragen zumindest zwei Gemälde den Namen „Tirol“ schon im Titel. Franz Marc, Tirol, 1913/14 Eines davon, heute in der Münchner Pinakothek der Moderne beheimatet, war, nachdem es auf die Leinwand gebracht worden war, nach Berlin gegangen, zu Herwarth Walden, dem Galeristen und Impresario des soeben zur Attraktion der Saison avancierten Expressionismus, wo das Bild nun den legendären „Ersten Deutschen Herbstsalon“ zierte. Hier waren, dem nationalbewussten Motto widersprechend, die Progressiven versammelt, sie kamen aus ganz Europa, waren Franzosen und Italiener, Russen und eben Deutsche und galten als die Kadertruppe jener Bewegung, die sich nach einem militärischen, von den Saint-Simonisten in den 1820er Jahren in die Ästhetik übertragenen Begriff als Vorhut, als „Avantgarde“, verstand. Nachdem Marc sein „Tirol“-Bild vom Herbstsalon zurückerhalten hatte, legte er abermals Hand an sein Werk, und es ergab sich die Version, wie sie heute vor Augen steht. Es ist, mit einem Wort, das Marcs Kollege Ludwig Meidner damals seinen eigenen Bildern gab, eine „apokalyptische Landschaft“, mit grell gefurchten Silhouetten, drastisch Versehrtheit vorführender Vegetation und einer Madonna auf der Mondsichel, wie man sie von den Illustrationen zur biblischen Apokalypse kennt. Marcs geheime Offenbarung, wie sie also im Frühjahr 1914 in die Welt trat, lässt sich füglich als eine Art Vorahnung darauf verstehen, wie die Gegenden bald tatsächlich aussehen werden: zerfurcht, mit tiefen Schründen, dabei zugleich hochgetürmt und emphatisch, eine einzige Anklage - ein Schlachtfeld. Ein Weltkrieg avant la lettre. Derlei Sensibilität für das Kommende billigt man Künstlern gerne zu. Gemeinhin werden dabei zwei Möglichkeiten benannt, Dinge der Kultur in der Situation der Zeit, in der sie entstehen, zu verorten. Möglichkeit eins gilt als die avanciertere, jene, die die politisch Linke bevorzugt, denn bekanntlich bestimmt das Sein das Bewusstsein, und sie ließe sich nennen: Widerspiegelung; im Werk kommt zur Kenntlichkeit, was die Verhältnisse sind. Die zweite Möglichkeit gilt als die prekärere, die konservative, sie gilt ihren Verächtern als diejenige, die das Werk darauf verpflichtet, auszugleichen, für Harmonie zu sorgen und unter den Teppich zu kehren, was als Status Quo womöglich zum Himmel stinkt; sie ließe sich nennen: Kompensation; das Werk blickt auf ein Besseres. Marc kann man auf beiden Strängen verorten: Statt einem Besseren gibt er allerdings kompensatorisch einem Schlechteren statt – auch darin läge ein Vermächtnis. Vielleicht aber verdanken sich solche Nähen zu den Umständen nicht wirklich einer speziellen Begabung. Sondern vielmehr dem durchaus banalen Mechanismus einer Interpretation, die etwas nachträglich erklärt und dadurch mit Sinn auflädt: Hinterher sind wir schlauer. Hoffentlich.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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