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A Paradise Built in Hell: Was macht der Film wenn er nicht spielt?

Hamburg als Filmstadt und Hamburg als Kunststadt, beides Begriffe, die aktuell wieder kräftig hinterfragt werden. Bettina Steinbrügge hat als erste Frau im Jänner dieses Jahres den Kunstverein in Hamburg – immerhin der zweitälteste in Deutschland – übernommen und hat gemeinsam mit Stefanie Schulte Strathaus mit der Ausstellung „A Paradise Built in Hell“ eine hoch diskursive und kurzweilige Auseinandersetzung mit der Geschichte des „'anderen' Films“ (Heinz Emigholz) und das aktuell wieder aufflammende Interesse von KünstlerInnen am 16-mm Film in die große Halle gestellt. Überraschend beim Eintritt in die Ausstellung ist die Stille. Da rattern keine Projektoren, da flimmert nichts auf Leinwänden in schlechter Digitalkopie. Einzig ein durch schwarze Vorhänge abgegrenzter Black-Cube verweist auf das eigentliche Thema. Und auch dort ist es während der Ausstellungszeiten ruhig, denn das umfangreiche Filmprogramm startet erst danach, konsequent mit einem Film pro Tag (außer Montag), egal wie lange der Film ist - von 3 Minuten - etwa „Intro (The Fourth Wall)“ von Clemens von Wedemeyer, 2009 - bis zu Jonas Mekas' 286-minütigem Epos „As I Was Moving Ahead Occasionally, I Saw Brief Glimpses Of Beauty“, 2000. Rund um diesen Raum gruppiert sind wenige ausgewählte Beispiele einer Auseinandersetzung mit dem Thema 16-mm Film. Als Zitat sind die 23 Filmplakate Maria Eichhorns zu sehen, die sie 1995 in der Galerie im Walcheturm für 23 Kurzfilme erstellt hatte, die an 23 Tagen jeweils zu selben Uhrzeit zu sehen waren. Die Arbeitsweise vieler FilmemacherInnen, mit Notizen, vor allem aber mit Zeichnungen ihre Ideen und Recherhchen zu skizzieren, zeigen zwei Installationen von Heinz Emigholz der seine auf 600 Arbeiten angewachsene Zeichnungsserie „Die Basis des Make-Up“ aus seinen Skizzen extrahiert. Mit der qualitativ oft fragwürdigen Praxis, auch heute gedrehte 16-mm Filme zu digitalisieren setzt sich Martin Ebner in seinem "Film ohne Film" auseinander – drei bemalte Holzstäbe, auf denen die Schnittfolgen von drei 16-mm Filmen visualisiert werden, in einer Optik die an das digitale Schnittprogramm Final Cut Pro angelehnt ist. Eine Überführung vom Analogen ins Digitale und wieder zurück. Reliquiengleich in Vitrinen ausgebreitet sind die wenigen verbliebenen Fragmente von Mohsen Sharara (1934 - 2006), einem ägyptischen Architekten und Künstler, dessen Animationsfilme großen Einfluss auf die ägyptische Kunst- und Filmszene hatten. Eine Wiederentdeckung die auch auf die gerade in der aktuellen Umbruchphase wieder erstarkte dortige Filmkunst verweist. Rund um die von Architekt Markus Miessen gestaltete Ausstellung dokumentieren Vitrinen die Geschichte der Hamburger Avantgardefilmbewegung der 60er und 70er Jahre, von den ersten Kollektiven über die wegweisende „Buch Handlung Welt“ bis zur Gründung des Hamburger Filmbüros 1979. Hier schließt sich der Kreis zum Ausstellungstitel, der von dem Buch „A Paradise Built In Hell“ von Rebecca Solnit entlehnt wurde. Solnit beschreibt in ihrem Buch, wie gesellschaftliche Dynamiken und Loyalitäten nach katastrophalen Ereignissen entstehen können. Die Auswahl der durchwegs nach der Jahrtausendwende entstandenen Filme orientiert sich ebenfall an dieser Thematik und präsentiert Arbeiten die sich – so wie schon in der Bewegung der 68er Jahre – mit Fragen globaler Krisensituationen und den Möglichkeiten auseinandersetzen, Gesellschaft neu zu denken. Steinbrügge und Schulte Strathaus schaffen es mit dieser Ausstellung sowohl die Rolle des Kunstvereins als Vermittlungs- und Diskursort anzusprechen als auch der aktuell zwar lebendigen aber notorisch unterfinanzierten Hamburger Filmszene einen Ort zur Reflektion ihrer Geschichte und ein Forum für aktuelle Fragen des experimentellen Films zu geben.
Mehr Texte von Werner Rodlauer

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A Paradise Built in Hell
28.06 - 07.09.2014

Kunstverein in Hamburg
20095 Hamburg, Klosterwall 23
Tel: +49 40 33 83 44, Fax: +49 40 32 21 59
Email: hamburg@kunstverein.de
http://www.kunstverein.de/
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 h


Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
Herr
Klaus | 17.08.2014 01:48 | antworten
Der Titel ist ein lächerlicher Abklatsch eines Ausst.-Titels vom KVHH, der übrigens der älteste KV in D ist. Bitte gründlich Rechnereien.
Ältester Kunstverein
Redaktion | 21.08.2014 11:56 | antworten
Der Kunstverein Nürnberg Albrecht Dürer Gesellschaft wurde 1792 gegründet und ist damit der älteste Kunstverein Deutschlands. Der Kunstverein in Hamburg wurde 1817, der Badische Kunstverein in Karlsruhe 1818 gegründet.

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