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Entfernen heißt Zerstören

Einer der schönsten Orte Wiens für Kunst der erweiterten Gegenwart ist die Dorotheergasse. Dort hat man einst ein Projekt in die urbane Zone gestellt, die „Freizone Dorotheergasse“, 1988 realisiert, als die Kunst im öffentlichen Raum ganz bei sich war und mit den SkulpturProjekten Münster das Jahr davor das Beste geliefert hatte, was das Prinzip hergab. Drei Arbeiten der Freizone sind von damals übrig geblieben, und man musste – auch das gehört zum Prinzip – schon Augen und Seele öffnen, um sie zu bemerken: Erstens Hans Weigands Wandrelief eines Gitarrenhalses, drei Stockwerke hoch an einer Hauskante appliziert, deren Erdgeschoss das Musikhaus Doblinger einnimmt. Zweitens Hans Kupelwiesers in Metall gegossene Reifenspuren, geklemmt zwischen die Wandöffnungen zur weiland Galerie Metropol, die die Veranstaltung auch konzipierte. Schließlich Ernst Caramelles wunderbare Applikation über Sinn und Sinnfälligkeit des Ladenschilds. Nur eine Achse breit sind die beiden Schaufenster im Haus Nummer 14, Supraprorten darüber, und auf einer stand immer schon in einer Moderna „UHREN“ und darunter in Fraktur „Adolf Roman“. Der Künstler setzte sich daneben: „IDEEN“ und „Ernst Caramelle“ gab er in den selben Schrifttypen zu lesen und damit einen Kommentar ab zu sich und seiner Kunst, die immer wieder aus Selbstkommentaren besteht. Die Arbeit ist darüberhinaus Conceptual Art im Verweis darauf, dass, wie es bei Sol Lewitt heißt, „The idea becomes a machine that makes the art“; sie ist Appropriation in der Aneignung des Vis-à-vis; sie ist Situationsästhetik in der Subtilität des kaum Bemerkbaren; und sie ist ein filigranes Stück Lesbarkeit, poetisch auf ihre Weise, eine Hommage auch an die Wiener Gruppe.


Ernst Caramelle, Installation in der Dorotheergasse, historische Aufnahme

Caramelles Arbeit ist jetzt abgeräumt worden. Der Antiquitätenhändler, der eingezogen ist, nachdem die Räume lange leer gestanden waren, hat nun seinen Namen auf die Supraporten gesetzt, und das Denkmalamt will das Haus renovieren. Der Händler glaubt, er hätte getan, was er konnte: Er hat die Buchstaben aufbewahrt, und vielleicht, so sagt er, schenkt er sie dem Wien Museum. Doch Caramelles Stück ist ein Parade-Exponat aus der Hochzeit der Site Specifity. Als man Richard Serras „Tilted Arc“ in New York beiseite schaffen wollte, kam es zu einer öffentlichen Diskussion und Serra tat dabei den denkwürdigen Satz: To remove the work means to destroy it.“ Das gilt selbstverständlich auch für Caramelle. Seine Buchstaben sind nichts, wenn sie nicht dort zu lesen sind, wofür sie konzipiert wurden. Sie funktionieren nicht wie eine antike Uhr, die man auf den Tisch, den Kaminsims oder ins Schlafzimmer stellt. Caramelles Stück ist hinüber. Der Künstler selbst will nichts dagegen unternehmen. Für ihn war es Fügung genug, dass sein Ideen-Konstrukt immerhin ein Vierteljahrhundert überdauerte. Vor einem halben Jahr ist im Untergeschoss des Karlsplatzes eine ausladende Wandarbeit Caramelles realisiert worden, Rechteckgefüge, monochrom, aber in einer Farbigkeit, der man die Verbindung mit dem Mauerputz ansieht. Eine Glasscheibe ist davor gestellt, selbstverständlich, das Areal ist eines der frequentiertesten der Stadt. Auf der Internet-Seite von KÖR, der Wiener Agentur für die öffentliche Kunst, kann man sehen, wie es aussieht. Man kann sehen, wie es aussehen sollte, denn die Fotos wurden gemacht, bevor es einen folgenschweren Eingriff gab. Zeitgleich zur Inauguration hat man leuchtende Leitlinien in die Passage gezogen, knallig in rot-grün-lila, damit die Touristen sich offenbar nicht verlaufen. Die grellen Fäden spiegeln sich im Schutzglas und ziehen in aller Penetranz Schlieren durch Caramelles puristisches Panorama. Eine visuelle Attacke, auf ihre Art auch eine Räumaktion mit einer Arbeit Caramelles. Hier also ein Vorschlag: In der Dorotheergasse lässt sich nichts mehr retten; wie wäre es, wenn man im Gegenzug das aufdringliche Leitsystem am Karlsplatz abmontierte?


Ernst Caramelle, Ohne Titel, Installation in der Kunstpassage Karlsplatz, 2013; Foto: Iris Ranzinger, 2013

Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Caramelle
Brigitte Huck | 06.06.2014 05:33 | antworten
Lieber Rainer, danke ! Dahin ist er, der Conceptual Fall Out eines Feinzeichners ! Ein Drama ! Und wir warten immer noch auf einen Aufschrei der Herrschaften vom KÖR ........ Grüße aus dem Wurschtigkeitsparadies, Gitti

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