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Flashmobs und Großskulpturen: Aktionsformen im urbanen Raum

Zweimal spielte in der letzten Woche Zucker eine Rolle im Raum der Bilder: In New York wurde Kara Walkers Riesensphinx „Subtlety or the Marvelous Sugar Baby” in den leer stehenden Räumen einer ehemaligen Zuckerfabrik fertiggestellt und nahezu zeitgleich türmten in Wien AktivistInnen vor einem Restaurant Zuckerpackungen auf, um dagegen zu protestieren, dass ein Kellner entlassen wurde, weil er in einer Pause selbst mitgebrachte Erdbeeren mit restauranteigenem Staubzucker bestreut hatte. Gleich auf mehreren Ebenen regten die Großskulptur der afroamerikanischen Künstlerin, eine Produktion von „Creative Time”, und der Wiener Flashmob dazu an, den Status Quo der Ausdrucksformen im städtischen Raum zu reflektieren. Dabei trägt zur argumentativen Parallelführung bei, dass sich auch inhaltliche Nahebeziehungen zwischen Kara Walkers Kunst und der Affäre um den Wiener Gastwirt finden lassen. (1) Sowohl der Flashmob wie auch die Skulptur führen uns in die Welt des Herrschaftsmissbrauchs, der von Rassismus begleitet wird, obwohl sich die von Kara Walker seit Jahrzehnten ins Bild gesetzten Sklaverei nur mit dem Risiko der Verharmlosung mit einem skandalösen Arbeitgeberverhalten im Wien des 21. Jahrhunderts vergleichen lässt. Doch auch der Wiener Arbeitgeber reicherte seine Argumentation rassistisch an, als er in einer Aussendung nach Kritik folgendes schrieb: „Weiters möchten wir festhalten, dass es sich bei dem betreffendem Mitarbeiter, um einen slowakischen Staatsbürger handelt, der lediglich zu Arbeitszwecken temporär nach Österreich kommt, und seinen Lebensmittelpunkt und Hauptwohnsitz in der Slowakei unterhält.” Der Wiener Flashmob hatte nichts mit Kunst im Sinn, doch trotz aller Unterschiede lässt sich feststellen, dass die letzten Jahrzehnte viele Formen des Handelns im urbanen Raum mit sich gebracht haben, in denen sich die Sprachen der Kunst und die Aktionsformen des Politischen in vielfältiger Weise überlagern und beeinflussen. Als Belege dafür können performanceähnliche Politaktionen gelten, wie der im Außenraum campierende Kandidat für das Europaparlament oder politikähnliche Performances, wie die der „Yes Men”, die zuletzt auf einem „Homeland Security Congress” als vermeintliche Bundesbeamte auftraten, und in dieser Rolle eine spektakuläre Initiative für erneuerbare Energien verkündeten. In derselben Zeitspanne in der KünstlerInnen wie Jenny Holzer oder Barbara Kruger damit begannen die Kunst im Außenraum mit mediengeschulten Strategien anzureichern, entwickelte der politische Aktivismus – beeinflusst nicht zuletzt durch Vorbilder wie „Gran Fury” – eine visuelle Prägnanz, die der Bildorientierung aktueller Massenmedien entgegenkommt und zugleich im realen öffentlichen Raum funktioniert. Sogar der etablierte Politiksektor sah sich im Aufmerksamkeitswettstreit zunehmend dazu gezwungen performative (Bild)formate zu entwickeln. Die sattsam bekannte Folge davon sind die unzähligen „originellen” Aktionen, denen PolitikerInnen aller Couleurs häufig mehr vertrauen, als einem überzeugenden Argument. Beliebte Kulisse dafür ist dann wiederum der öffentliche Raum, in dem dann marschiert, geradelt oder anders „performt” wird. Brisanter wird das Ineinandergreifen künstlerischer Strategien mit politischen Handeln im öffentlichen Raum dort, wo Künstlerinnen Teil von Bewegungen werden, in denen realpolitisch etwas auf dem Spiel steht. Zu prominenten Beispielen wurden jüngst der türkische Choreograph Erdem Gündüz mit seiner „Stillstehperformance” am Taksimplatz oder der ukrainische Pianist Markiyan Matsekh, der mit seinem Klavier vor den Sicherheitskräften Stellung bezog, um Chopin zu spielen. In dramatischer Weise zeigte sich 2011 in Kairo, dass der öffentliche Raum keine harmlose Spielwiese für Kunstinterventionen ist, sondern in Zeiten von Umstürzen für alle zu einem Raum eminenter Gefahr wird. Der Künstler Ahmet Basiony wurde durch Polizeischüsse getötet. Seine auf den Straßen Kairos entstandenen Filme wurden 2011 posthum als ägyptischer Beitrag auf der Biennale von Venedig gezeigt. Eine weitere gemeinsame Konstante nahezu aller Aktionsformen im urbanen Raum – seien sie künstlerisch oder aktivistisch – ist, dass sie auf mediale Verstärkung setzen. Dauer und Beteiligungsstärke vor Ort treten bisweilen gegenüber den medialen Multiplikationsmöglichkeiten in den Hintergrund. Für Kara Walkers Sphinx in der aufgelassenen Fabrik gilt ebenso wie für die Zuckerberge vor dem Rindfleischrestaurant, dass die mediale Vermittlung der prägnanten Motive jede Wahrnehmung vor Ort bei weitem übersteigen wird. Auch Retro-Strategien wie handgeschriebene Zettel, Urban Knitting oder andere Manifestationen von „Critical Crafts” leben davon, dass ihre Verbreitung nicht mehr physisch erfolgen muss, sondern durch digitales Teilen erfolgt. Sucht man nach Erfolgsfaktoren für ein zeitgemäßes Agieren im öffentlichen Raum, fällt auf, dass es um die Fähigkeit geht, das Ping-Pong zwischen „Old School”-Faktoren wie räumlich-situativer Prägnanz und den Realitäten medial-digitalen Lebens überzeugend zu beherrschen. Auch der gemobbte Kellner war mit einer traditionellen Waffe erfolgreich und in diesem Punkt seinen digitalen UnterstützerInnen voraus: Mit Hilfe einer Interessensvertretung hatte er nämlich seinen Prozess beim Arbeitsgericht bereits gewonnen, bevor die Shitstorms und Flashmobs gegen seinen Ex-Chef einsetzten. -- (1) Die Künstlerin nennt ihre Arbeit, eine 22 Meter hohe, von einer Zuckerschicht überzogene sphinxhafte Frauenfigur, „eine Hommage an die vielen unbezahlten und überarbeiteten Fachkräfte, die unseren süßen Geschmack von den Zuckerrohrfeldern bis zu den Küchen der Neuen Welt verfeinert habencreativetime.org/projects/karawalker
Mehr Texte von Martin Fritz

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