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Reinhard Mucha: Hagiograph seiner selbst

Der Mann hat auch Humor. „Ich möchte den neuen Gummiquetschnippel ausprobieren“ steht auf dem vergilbten Coupon, den Reinhard Mucha irgendwann Ende der 70er, Anfang der 80er ausgefüllt und an den Hersteller ebendieser Kleinteile geschickt hat. Manisch hat der Düsseldorfer Künstler diese Gutscheine gesammelt, mit der Schreibmaschine ausgefüllt und verschickt. Die Antworten mit Proben, Broschüren und Katalogen hat er nie geöffnet, sondern so gesammelt, wie sie kamen. Die Gutscheine (oder Kopien davon) wurden akribisch gesammelt und aufwendig gerahmt. Heute mag diese Sammelwut bestenfalls verschroben erscheinen. Anfang der 80er Jahre hatte die Friedens-, Umwelt- und Bürgerbewegung ihre Hochzeit. Die Volkszählung drohte und der heute in seinem bescheiden wirkenden Umfang fast rührend erscheinende Datenhunger von Firmen und Behörden war vielen Menschen unheimlich. Das Internet, Google und Facebook waren noch sehr, sehr weit weg. 99 dieser analogen Datenschnipsel sind jetzt gehängt Teil des „Frankfurter Block“, der bei Sprüth Magers in Berlin ausgestellt wird. Der Rest wird in Tischvitrinen präsentiert. Der Titel stammt von der Ausstellung in der Frankfurter Galerie Grässlin, in der die Arbeiten zwei Jahre zuvor zu sehen waren. Für Berlin wurde gleich der komplette Ausstellungsraum nachgebaut. Doch schon am Main handelte es sich um ein Re-Enactment einer sehr viel älteren Ausstellung. Zusammen mit 15 anderen Akademieabsolventen waren 1981 in war in Bielefeld „Ars Viva – Skulpturen und Installationen von Preisträgern des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.“ gezeigt worden. Als Reminiszenz an diese Schau hat Mucha die Vitrinen auf 16 Fußschemel gestellt. Dabei ist es eher unbeabsichtigt, dass gerade diese Zahl an Tischbeinen vorhanden ist. Aber wenn der Zufall einem schon mal so in die Hände spielt, kann man ihn ja gleich mit einbauen, wird sich der Künstler wohl gedacht haben. So dokumentiert Mucha seine eigene Werk- und Ausstellungsgeschichte, und die Titel werden um jede wichtige Station ergänzt und dadurch immer länger. Immer wieder kommt etwas hinzu wird weggenommen oder neu kombiniert. Diese Bearbeitung und Dokumentation der eigenen Ausstellungsgeschichte strebt beharrlich in Richtung Musealisierung – der Berliner/Frankfurter/Bielefelder Block ist nach Angaben der Galerie nur am Stück zu haben (einzelne Werke gibt es in den benachbarten Ausstellungsräumen). Ob und inwieweit diese Hagiographie seiner selbst auch jeweils ein Mehr an Erkenntnis generiert, will sich allerdings nicht auf Anhieb offenbaren.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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Reinhard Mucha
03.05 - 21.06.2014

Sprüth Magers Berlin
10178 Berlin, Oranienburger Straße 18
Tel: +49 (0)30 / 2 88 84 03 0 , Fax: +49 (0)30 / 2 88 84 03 52
http://www.spruethmagers.com


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