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Vom Flanieren

Diesmal hielt sich das Wetter an den Kalender: Graz strotzte nur so vor Frühling, doch auch das Diagonale-Programm hatte viel zu bieten. Die Großen Diagonale-Preise gewannen dieses Jahr Ruth Beckermann für ihren flanierend-essayistischen Dokumentarfilm „Those who go Those who stay“ sowie Houchang Allahyari mit dem Spielfilm „Der letzte Tanz“ über einen Tabubruch, mit der großartigen Erni Mangold als verliebter Alzheimerpatientin. Erni Mangold wurde für ihre Leistung in „Der letzte Tanz“ auch als beste Schauspielerin geehrt. Bester Schauspieler wurde Gerhard Liebmann für seine Auftritte in gleich drei österreichischen Spielfilmen dieses Jahres: „Bad Fucking“, „Das finstere Tal“ und „Blutgletscher“. Der Preis für Innovatives Kino ging an Lukas Marxt für „High Tide“. Mehr zu den Preisen siehe unter www.diagonale.at/grosser-diagonale-preis-spielfilm. Wieder wurden unter vielen neuen auch nicht so wenige alte Filme gezeigt, von denen man eine ganze Reihe bestimmt nicht so schnell wieder zu sehen bekommen wird. Neben der Personale des österreichischen Filmkünstlers Manfred Neuwirth und den Specials zum Werk der französischen Kamerafrau Agnès Godard, dem US-Filmkünstler James Benning und dem exilierten Ausnahmeschauspieler Peter Lorre war es dieses Jahr die fünfteilige Schau „Ein anderes Land“ mit Archivschätzen des Österreichischen Filmmuseums anlässlich von dessen 50. Gründungsjubiläums, die immer aus Neue fesselte. Mit nur 33 Filmen, vom raren Filmfund bis zur humorigen Wien-Werbung, von Experimentalfilmzimelien bis zum Erstlingsspielfilm umkreiste dieses Programm die Themen „Kino“, „Nazis“, „Unser Wien“, „Der Klang der Sprache des Films“ und „In Transit“. Immer wieder schön wie ein Traum ist das vor einigen Jahren wieder aufgetauchte Material aus Joseph von Sternbergs verlorenem letzten Stummfilm „The Case of Lena Smith“ von 1929: Teilweise durch fließendes Wasser hindurch gefilmt, zeigt es aufregende Bilder einer Szene, die im legendären Gewimmel des Wiener Praters um 1900 spielt. Ein anderer Glücksfall des Filmmuseums-Programms ist Wolfgang Murnbergers („Komm, süßer Tod“, „Silentium“) autobiographisch inspiriertes Spielfilmdebüt „Himmel oder Hölle“, das von einer Kindheit zwischen elterlichem Kino und beginnender Pubertät in der ostösterreichischen Provinz um 1970 erzählt. Als eine Art „Fargo“ im Sommer bezeichnete Michael Glawogger seinen aktuellen Spielfilm, den vergnüglichen TV-Krimi „Die Frau mit einem Schuh“, in dem Nina Proll als resche Landpolizistin angeschwemmte Leichenteile zu einem Fall zusammensetzt. Eine richtige Überraschung bot das Spielfilmdebüt „Fräulein Else“ der jungen Regisseurin Anna Martinetz. Sie transponierte die bekannte Novelle von Arthur Schnitzler vom Millionärs-Refugium im Italien der 1920er-Jahre in ein ebensolches im Indien der Gegenwart, jeweils vor dem Hintergrund einer aktuellen Finanzkrise, und fand bemerkenswerte, experimentelle Bilder für den inneren Monolog der Hauptfigur. Martinetz‘ „Fräulein Else“ ist eine Literaturverfilmung, wie man sie sich wünscht: Intelligent und fesselnd, nah an der Vorlage und dazu hochaktuell. Als fein kalibriert erwies sich Edgar Honetschlägers bereits im Herbst im Kino zu sehen gewesener Dokumentarfilm „Omsch“. Der Künstler und Filmemacher portraitierte darin seine Nachbarin Pauline Schürz (1907-2009), freundschaftlich-liebevoll genannt Omsch, fallweise auch Omschi. Leben und Ansichten der rüstigen Hundertjährigen sind mit einer solchen Leichtigkeit in Film übersetzt, dass man es manchmal mit einer sehr jungen Person zu tun zu haben scheint. Auch der neue Dokumentarfilm von Ivette Löcker „Wenn es blendet, öffne die Augen“ ist von gesteigerter Intensität im Angesicht der Vergänglichkeit geprägt. Löcker („Nachtschichten“) porträtierte ein russisches Junkie-Paar. Schanna und Ljoscha, beide Mitte Dreißig, sind vom langjährigen Drogenkonsum und von AIDS gezeichnet, sie mehr als er. Immer noch ein Liebespaar, sind sie sich der Aussichtslosigkeit ihrer Lage bewusst, wenn auch nicht ganz ohne Galgenhumor. Wie Löcker die beiden zu Protagonisten ihres Films macht, ohne Klischees zu berühren, sie ihre Geschichten erzählen lässt, ohne sie vorzuführen, ist wahrhaft meisterlich. Von Räumen handeln die neuen Arbeiten von Thomas Draschan und Miriam Bajtala. Draschans „Wotruba“ ist eine experimentelle Annäherung an die von dem österreichischen Bildhauer entworfene Kirche, in der er die Filmbilder korrespondierend zum kubistischen Stil des skulpturalen Bauwerks zu einem spannenden Analogon zusammensetzt. Miriam Bajtalas „kritische räume brauchen zuneigung“ wurde in den leerstehenden Gebäuden eines nie fertig gestellten Nazi-Prestige-Baukomplexes auf Rügen gedreht. Die „Zuneigung“, die ihr Filmtitel einfordert, erweist sie den historisch aufgeladenen, kürzlich z. T. an einen privaten Investor verkauften Gebäuden, indem sie mit dem Rücken zur Kamera wie ein schwarzer Engel durch die denkmalgeschützten und doch heruntergekommenen Räume hüpft bzw. mittels Filmtrick zu flattern scheint. So ergreift sie auf absurde Weise Besitz von ihnen und weist zugleich auf die Problematik hin, auf „kritische“ Räume irgendwie „richtig“ zu reagieren. www.diagonale.at
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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