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Punctum. Bemerkungen zur Fotografie: Verdichtetes Sein

Der Salzburger Kunstverein macht sich in seiner Sommerausstellung Gedanken über das Wesen der Fotografie und stellt uns Roland Barthes „Punctum“ neu vor. Die Antrittausstellung des neuen Direktors Séamus Kealy widmet sich der Fotografie und dem Versuch von Roland Barthes die „entscheidende Erkenntnis“ in der Fotografie zu benennen. Übertitelt ist die Ausstellung mit „Punctum“, einem Begriff den Barthes in seinem Buch, „Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie“ 1980 für jenes Detail einführte, das den Betrachter einer Fotografie fesselt, ja „verwundet“. Punctum benennt die entscheidenden Details, die uns eine Fotografie lieb, teuer oder unangenehm macht. Dieser Succus ist individuell verschieden und wird von jedem Betrachter anders bewertet. Séamus Kealy geht es in seiner ersten Ausstellung für den Salzburger Kunstverein um den individuellen Blickpunkt von Kulturschaffenden. Fünfzig bildende KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und KuratorInnen wurden eingeladen, ein bestimmtes Foto zu wählen, welches das für Sie berührende Detail enthält. Entstanden ist eine romantische Fotoschau vor graublauen Wänden, die bei eingehender Betrachtung das „berührende Momentum“ sichtbar macht. Ins Auge sticht dabei „Leni“,2010 ein 19-teiliger C-Print von Tatiana Lecomte. Es zeigt Leni Riefenstahl in sitzender Pose, die noch immer schlanken Beine im Bild, schon sicherlich Anfang 60. Mit blondierten Haaren, lächelndem Gesicht, hält sie einen Löffel, den sie in der Hand eines dunkelhäutigen Mädchens versenkt. Das Mädchen wird in traditioneller afrikanischer Stammeskleidung, demütig sitzend gezeigt. Sie bringt den Inhalt ihrer Hand Riefenstahl dar. Riefenstahl lächelt dazu. Offensichtlicher kann man den sich in sentimentale Töne versteigenden Rassismus nicht darstellen.(1) Ein weiteres politisches Bild ist die Wahl von Duncan Campell, es zeigt das Foto „Incident, 1993“ von Willie Doherty. Ein ausgebranntes Auto steht am Rand einer Landstraße. Es scheint gerade geregnet zu haben. Das Auto wurde bei einem Mord der IRA verwendet und danach vorsorglich ausgebrannt um keine Beweise zu hinterlassen. Wie ein Mahnmal des Toten ist es hier in die irische Landschaft gestellt. Man weiß eigentlich nicht genau was passiert ist. Aber dass etwas Schlimmes geschehen ist spürt der Betrachter. Das Foto vermittelt eine Leerstelle der Erkenntnis. All dies gelingt dieser Fotografie und stellt somit ein „Punctum“ im Sinne Barthes’ dar. Ein gegenwärtiger Succus unserer Zeit ist ein Screenshot einer Skype-Unterhaltung die Felix Gmelin 2014 von seiner betagten Mutter gemacht hat. Seine Mutter, eine ehemalige Geigerin des Göteborger Symphonieorchesters, erzählt ihrem Sohn von ihrem Engagement in der Friedensbewegung. Man sieht nur ihren weißen Haarschopf der sich über den Bildschirm beugt. Im Hintergrund aber sieht man Fotografien ihrer Großmutter, die eine der ersten Ärztinnen war. Ein weiteres Foto zeigt die Großmutter beim Fechtkampf. Dieser Screenschot wirft einen Blick auf die geballte feministische Tradition dieser Familie. Die Geigerin musste als junge Frau Salzburg verlassen und lange nach einer Stellung als Orchestermusikerin suchen. Fündig wurde sie erst in Göteborg in Schweden. Momente dieser Verdichtung sind nicht immer auf den ersten Blick in den Fotografien zu erkennen. Manchmal bedarf es einer längeren Betrachtung und einer erläuternden Lektüre, die zur Ausstellung in Manuskriptform gereicht wird. Séamus Kealy ist eine schöne Ausstellung gelungen. Und es ist eine romantische Ausstellung geworden, die versucht dem „eigentlichen Wesen“ der Fotografie näher zu kommen. Dies kann man auch einmal gut abseits der Entwicklungen und Möglichkeiten der digitalen Fotografie tun. -- (1) Es sei hier nur auf Josef Mengele, den KZ Arzt von Auschwitz verwiesen, der Romakinder ganz liebreizend fand. Auch ihre „Anhänglichkeit“ schätzt und sie doch zu grausamsten medizinischen Experimente missbrauchte.
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Punctum. Bemerkungen zur Fotografie
26.07 - 21.09.2014

Salzburger Kunstverein
5020 Salzburg, Hellbrunnerstrasse 3
Tel: +43 (0) 662/84 22 94-0, Fax: +43 (0) 662/84 07 62
Email: office@salzburger-kunstverein.at
http://www.salzburger-kunstverein.at
Öffnungszeiten: Di-So 12-19h


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