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Was von der Malerei übrig blieb

Galerierundgang in der Baumwollspinnerei Leipzig Zum Glück hat sich die Baumwollspinnerei in Leipzig ihren Charakter als Spielwiese erhalten. Das Areal wird angenommen, wie der erste Rundgang des neuen Jahres belegt. Gutbürgerliche Ehepaare, Familien, Szenemenschen und einige Auswärtige füllen das weitläufige Gelände und erfüllen es mit einer entspannten Atmosphäre, die so gar nichts hat von der bemühten Hipness des nur eine Zugstunde entfernten Berlin. Wie wichtig den Leipzigern diese Kulturstätte ist, zeigt sich in der Auktion zugunsten der gemeinnützigen Halle 14, die schier kein Ende nehmen will, weil um gut jedes zweite Los hartnäckig gekämpft wird. Neben bekannten Galerien, die auf verschiedenen Ebenen des internationalen Kunstbetriebs mitmischen, finden ein Residency-Programm, Künstlerateliers (u.a. Töpfer, Schnitzer, Drucker) ebenso ihre Heimat wie dann leider doch zum Teil recht durchwachsene Galerien. Personal in Hipster-Verkleidung mit verschränkten Armen neben übereinandergestapelten Zahnpastakartons macht leider noch keine gute Kunst. Und man weiß leider auch nicht, auf welcher Ebene der geschwätzige Surrealismus/komische Symbolismus der Doppelausstellung von Sten Gutglück und Fabian Lehnert in der Josef Fillipp Galerie lustig ist; vermutlich aber doch unfreiwillig. Aber das Kulturareal behergt ebenso Ausstellungen, die eine Reise lohnen. Geboren 1980, als die Jungen Wilden gerade mit großer Geste und breitem Pinsel die in Abtraktion erstarrte Malerei der alten Bundesrepublik fröhlich bunt zu Klump figurierten, schaut der Düsseldorfer Lüpertz-Schüler Jochen Mühlenbrink etwas über 30 Jahre später hinter die Bilder. In handwerklich perfekter trompe l'oeil-Malerei inszeniert er in seiner ersten Einzelausstellung bei ASPN Rückseiten von Bildern, Alltagsgegenstände oder abgearbeitete Atelierwände nach dem Abhängen der eigentlichen Werke. Da ist einiges an Klamauk dabei, wie eine nachgebaute schmuddelige Pizzaschachtel - das Original wahrscheinlich sonntagmorgens um Fünf in der Düsseldorfer Altstadt erworben und nach dem Aufwachen wiedergefunden - oder ein augentäuschendes "Klebeband"-Kreuz auf Wellpappe. Andererseits klug inszenierte große "Wände", die von akribischen Motivsuchen und mühseligen Schaffensprozessen zeugen, die selbst wiederum nur inszeniert sind. Oder doch nicht? Sicherheiten gibt es nicht im Werk Mühlenbrinks. Zum Glück nimmt's der Künstler mit Humor. Der Laden für Nichts zeigt eine Einzelausstellung des Berliner Künstlers Fabian Fobbe. In den Bildern auf knallbuntem Grund arrangiert er Elemente aus der digitalen Welt mit Wortspielen und lustigen Geisterfiguren. Als schlagendstes Verkaufsargument weiß das Galeriepersonal die für Leipzig eher ungewohnte Verweigerung der Figuration aufzurufen. Denn die feiert hier nach wie vor fröhliche Urständ. Bei Queen Anne etwa arbeitet sich Julian Plodek an Familienportraits, Detailstudien und Landschaften ab, die in grob gerasterten Siebdrucken wiederkehren. In der Galerie Kleindienst prangen apokalyptische Großformate von Thilo Baumgärtel, die irgendwie an den bekanntesten Leipziger Maler der Gegenwart erinnern. Den Gegenentwurf zur figürlichen Narration auf Leinwand liefert Betram Haude in der Galerie Jochen Hempel. Einziges Werk der Ausstellung ist ein Video. Auf einer runden Projektionsfläche wird passgenau die Fontäne des Karstadt in Leipzig von oben gezeigt. Das Zusammenspiel von Wasserspiel und bunten Lichtern aus ungewohnter Perspektive wirkt wie eine Zusammenarbeit von Damien Hirst und Olafur Eliasson, unterlegt von stimmungsvoller Musik. Hinter der Glitzershow steht ausgiebige Kapitalismuskritik, für die der Künstler in einem theoriegeschwängerten Begleittext vor allem Walter Benjamin und Emile Zola bemüht. Man kann sich das auch einfach nur anschauen und sich darüber wundern, wie gern man sich selbst solchen Taschenspielertricks des Schaustellergewerbes hingibt, wenn sie nur ordentlich inszeniert sind. Den direktesten Zugang zur realen Welt liefern Nina Fischer & Maroan el Sani bei Eigen + Art. Auf drei Leinwänden befasst sich das Duo mit den Folgen der Katastrophe von Fukushima für die Menschen, ihre Psyche und das Zusammenleben. Das dokumentarische Werk zeigt auf beklemmende Weise den Umgang einer auf Konsens und Konformismus gegründeten Gesellschaft mit einer Bedrohung, die allgegenwärtig und gleichzeitig nicht zu fassen ist. Alle Programme unter: www.spinnerei.de
Mehr Texte von Stefan Kobel

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