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Esprit Montmartre - Die Bohème in Paris um 1900: Elend an der Wiege der Moderne

Der Stadtteil hatte schon eine recht spezielle Topographie. Unten, am Fuße des Hügels formierten sich rund um die Place Pigalle die Varietés, Cabarets und Tanzlokale zu einem Vergnügungsviertel, später sollten Kunsthandlungen und Farbengeschäfte hinzu kommen. Der Hügel selbst, die „Butte“ stellte das dar, was man heute wohl sozialen Brennpunkt nennen würde. Der Charakter war dörflich, doch wenig romantisch, das Bild war geprägt von einfachen Hütten, Baracken, alten Mühlen, Gemüsebeeten und Gestrüpp. Hier lebten Arbeiter, Wäscherinnen, Straßenhändler, Prostituierte, Anarchisten, Diebe und mehr und mehr Künstler, Komponisten und Literaten, sie verhalfen Montmartre zu jenem Ruf, den es heute noch besitzt. Wer würde da nicht an das Leben in der Boheme denken, von Künstlern, verkannt, dem Alkohol zugetan. Wer hätte da nicht die Vergnügungslokale im Sinn, mit Chansons und Can-Can, leichtfüßigen Damen in raschelnden Taft und spendablen Herren mit Zylinder. Ein einzig dekadentes Vergnügen, festgehalten in zahlreichen Belegen der Kunstgeschichte. Freilich darf man derlei Werke, die die „Belle Epoque“ repräsentieren wie keine anderen durchaus wörtlich nehmen, doch lohnt es sich, so Ingrid Pfeiffer, die Kuratorin der Ausstellung „Esprit Montmartre – Die Boheme in Paris um 1900“, noch ein zweites Man hinzusehen. Ebenfalls lohnt es, den Vergleich zu den historischen Fotografien anzustellen, die Orte zu vergleichen, um Not und Elend, wie Prostitution oder Alkoholsucht hinter den vielfach reproduzierten Meisterwerken zu erkennen. Pfeiffer gelingt mit ihrem sozialhistorischen Ansatz ein neuer Zugang zu den alten, wohl bekannten Sujets. Sie wirft einen Blick auf die Schattenseiten der Belle Epoque, in dem der Mythos vom Montmartre zur Topographie eines Klischees wird. Nicht zuletzt durch die aufstrebende Künstlerschaft erlebte das Viertel über die Jahre eine Aufwertung. Die Vergnügungslokale warben mit künstlerisch gestalteten Plakaten, ließe ihre Programmhefte und Werbeeinschaltungen entsprechend illustrieren, in der Gebrauchsgraphik wurden neue Standards gesetzt. Die Läden nahmen Farbe und Leinwand in ihr Sortiment, Trödler wurden zu Kunsthändlern und Galeristen. Neben den männlichen Helden Henri de Toulouse-Lautrec, Edgar Degas, Pablo Picasso oder Kees van Dongen, schenkt die Ausstellung mit Suzanne Valadon und Marie Laurencin zwei Kolleginnen besondere Beachtung. Mittendrin in diesem aufstrebenden Handelszweig, eine kleine kurzsichtige Frau, die jene jungen Talente unterstützte und förderte. Als Berthe Weill, jene resolute Kunsthändlerin am Ende ihres Lebens ihre Memoiren verfasste, formulierte sie trocken wie zeitlos: „Eine alleinstehende Frau hat ihr Leben lang nur ein Ziel, sich zu verteidigen“.
Mehr Texte von Daniela Gregori

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Esprit Montmartre - Die Bohème in Paris um 1900
07.02 - 01.06.2014

Schirn Kunsthalle Frankfurt
60311 Frankfurt am Main, Römerberg
Email: welcome@schirn.de
http://www.schirn.de
Öffnungszeiten: Di - So 11.00-19.00 Uhr, Mi - Sa 11.00-22.00 uhr


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