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Veitstanz in Venedig und Venezuela

Nach rund einem halben Jahr Laufzeit endet am 24. November die Biennale di Venezia 2013. Ich war vor einigen Tagen dort – die Hallen, Wege und Pavillons waren voll wie bei den Eröffnungstagen. Schon erstaunlich: Nach der Eröffnung berichteten viele (österreichische) Medien eher verhalten über die Ausstellung. Dem Publikum war das aber offensichtlich egal, es fand Gefallen an dieser Biennale und hat sie von Mund zu Mund munter weiter empfohlen. Auch mir hat die Biennale ausgesprochen gut gefallen – und dies zum ersten Mal nicht primär aufgrund des Systems der Länderpavillons, das mir ob der Konzentriertheit seiner Resultate immer gut gefällt, sondern wegen der zentralen Biennale-Ausstellung „Il Palazzo Enciclopedico“. Kurz gesagt geht es in dieser von Massimiliano Gioni kuratierten Schau um „den Flug der Imagination“. Titelgebend ist ein Projekt, das der italienisch-amerikanische Künstler Marino Auriti 1955 zum Patent anmelden wollte: Ein siebenhundert Meter hohes Gebäude, das das gesamte Wissen der Welt enzyklopädisch beherbergen sollte. Themengemäß ist die Ausstellung riesig, sie füllt den Zentralpavillon in den Giardinis als auch einen Großteil der Hallen im Arsenale. Darin zu sehen sind einerseits Auritis Wolkenkratzer-Palast als Modell, andererseits aber auch Werke von vielen anderen „Einzelgängern“ und mir meist völlig unbekannten Autodidakten aus aller Welt. Das Spektrum reicht dabei von knallbunten esoterischen Engelsvisionen über völkerkundliche Skizzen, schamanische Diagramme und adoleszente Erotikträume bis hin zu den unheimlichen Abgründen von Masken und anderen Figurationen. Zum letzten Thema hat Cindy Sherman – wie einst Mike Kelley mit „The Uncanny“ – der Ausstellung sogar eine eigene Sektion beigestellt. Figuren von Jimmie Durham, Charles Ray, John DeAndrea u.a. mischten sich darin mit Ex-Votos, Fotoalbums oder Voodoo-Bannern aus Haiti. Durch diese geballte Ladung an Energie, Fanatismus und Gestaltungswillen ist der Ausstellung eine Lebendigkeit und Direktheit inne, die in der heutigen, stark reflexiv-orientierten Kunstproduktion ansonsten selten ist. Gegen diesen Veitstanz der Imagination haben es die Länderpräsentationen in den Pavillons merklich schwerer als bei den letzten Biennalen, bei denen im Zentralpavillon immer nur ein ermüdendes Potpourri an bekannter Museumsware hing. Einzig der Pavillon von Venezuela bildet eine merkliche Ausnahme. Der ist nämlich der überaus lebendigen „El arte urbano“ des Landes gewidmet und zeigt neben großen Graffitis auf den Wänden auch einen rasanten Film über die dortige Street Art Szene, die sich stark aus der lokalen Muraltradition mit ihrem politischen Hintergrund speist. Den Konnex zur Ausstellung „Il Palazzo Enciclopedico“ knüpft dabei nicht nur deren Körperlichkeit sondern auch die Anonymität ihrer Aktivisten. Wussten Sie übrigens, dass Venezuela soviel wie „Klein-Venedig“ bedeutet? Der Name geht zurück auf Amerigo Vespucci, den 1499 eine Schiffsexpedition entlang der nordwestlichen Küste des heutigen Südamerikas führte. Dort sahen die Seefahrer Pfahlbauten, die im Wasser errichtet waren, was Vespucci wiederum an Venedig erinnerte. So kam es zum Namen des „Golfs von Venezuela“.
Mehr Texte von Vitus Weh

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
mir gings auch so..
bitteichweisswas | 12.11.2013 11:05 | antworten
war auch vor zwei Wochen noch 1x in der Biennale, nachdem ich anlässl. der Eröffnung einen eher ungenügenden bzw. unbefriedigenden Eindruck bekommen hatte ... und siehe da: speziell das Arsenal mit der Zentralausstellung hatte einige beeindruckende, mir beim ersten Mal gar nicht aufgefallene Programmpunkte zu bieten !! .. die mich einigermassen positiv stimmten. Allein z angolanischen Pavillon u zur Szeemann-Rekonstruktion haben wir es leider nicht geschafft ...

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